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Maigret und der verstorbene Monsieur Gallet

Maigret und der verstorbene Monsieur Gallet

Titel: Maigret und der verstorbene Monsieur Gallet
Autoren: Georges Simenon
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so heißt …«
    Sie blickte zur Tür, wie um ihm zu bedeuten, daß sie die Unterredung als beendet betrachte.
    »Ihr Mann heißt mit Vornamen Emile, nicht wahr? Und von Beruf ist er Handlungsreisender?«
    »Generalvertreter der Firma Niel & Co. für die ganze Normandie!«
    »Ich fürchte, Madame, Sie machen sich falsche Hoffnungen … Leider muß ich Sie bitten, mit mir nach Sancerre zu fahren. Für Sie wie für mich ist dies …«
    »Aber da er doch …«
    Sie schwenkte die Karte, auf der der Vieux Marché von Rouen abgebildet war. Die Tür zum Eßzimmer stand noch offen. Maigret konnte bisweilen den Po und die Füße des Mädchens sehen, dann wieder seinen Kopf mit dem wirr herunterhängenden Haar. Er hörte, wie der mit Wachs durchtränkte Lappen über das Parkett glitt.
    »Glauben Sie mir, ich wäre nur zu froh, wenn ein Irrtum vorläge. Aber die Papiere, die in den Taschen des Toten gefunden wurden, gehören tatsächlich Ihrem Mann …«
    »Jemand könnte sie gestohlen haben …«
    Ihre Stimme klang nun doch etwas unsicher. Sie folgte Maigrets Blick, der wieder zum Klavier wanderte.
    »Er mußte schon Diät halten, als das Foto gemacht wurde«, erklärte sie leise.
    »Vielleicht möchten Sie erst etwas essen?« sagte der Kommissar. »Ich kann Sie in etwa einer Stunde hier abholen …«
    »Nein! Wenn Sie glauben, daß … daß es sein muß … Eugénie! … Holen Sie meinen schwarzen Seidenmantel, meine Tasche, meine Handschuhe …«
     
    Im Grunde brachte Maigret für diesen Fall, der alle Merkmale eines unangenehmen Falls aufwies, nicht das geringste Interesse auf. Trotzdem hatte sich ihm das Bild des Mannes mit dem Spitzbart, der Diät halten mußte, und des Jungen im Erstkommunikantenanzug ins Gedächtnis eingeprägt. Was jetzt noch zu tun blieb, empfand er als lästige Pflicht. Als erstes wieder diese »Hauptallee« hinter sich bringen, in immer drückenderer Hitze und diesmal mit zugeknöpfter Jacke. Dann fünfunddreißig Minuten auf einer Bank im Bahnhof Melun warten. Dazwischen ein Lunchpaket kaufen, das belegte Brötchen, Früchte und eine Flasche Bordeaux enthielt …
    Um drei Uhr nachmittags saß er Madame Gallet gegenüber in einem Abteil 1. Klasse des Schnellzugs nach Moulins, der in Sancerre anhielt.
    Die Zugfenster waren geöffnet, aber durch die zugezogenen Vorhänge bekam man nur hin und wieder einen frischen Lufthauch zu spüren.
    Maigret hatte seine Pfeife aus der Tasche gekramt und nach einem Blick auf seine Begleiterin wieder eingesteckt.
    Sie waren mindestens eine Stunde gefahren, als sie mit einer etwas menschlicher klingenden Stimme fragte:
    »Wie erklären Sie sich das Ganze?«
    »Ich kann mir noch gar nichts erklären, Madame. Ich weiß nichts, außer daß in der Nacht vom 25. auf den 26. im ›Hôtel de la Loire‹ ein Verbrechen verübt wurde. Es ist Ferienzeit. Außerdem hat es die Staatsanwaltschaft in der Provinz nie besonders eilig. Die Kriminalpolizei ist erst heute früh benachrichtigt worden …
    Schrieb Ihr Mann Ihnen häufig?«
    »Von jeder Reise.«
    »Reiste er viel?«
    »Er fuhr jeden Monat für ungefähr drei Wochen weg. Nach Rouen, wo er im ›Hôtel de la Poste‹ wohnte … Seit zwanzig Jahren! Von Rouen aus bereiste er die ganze Normandie, aber wenn immer möglich kehrte er am Abend ins Hotel zurück.«
    »Haben Sie nur einen Sohn?«
    »Ja. Er arbeitet bei einer Pariser Bank.«
    »Wohnt er nicht bei Ihnen in Saint-Fargeau?«
    »Es ist zu weit, um jeden Tag hin- und zurückzufahren. Aber die Sonntage verbringt er immer mit uns.«
    »Ich würde Ihnen raten, jetzt doch eine Kleinigkeit zu essen.«
    »Danke, nein!« sagte sie schroff, als hätte er sich eine Unverschämtheit erlaubt.
    Im Grunde konnte er sich auch nicht vorstellen, daß sie wie eine gewöhnliche Sterbliche an einem Schinkenbrot zu knabbern begann und lauwarmen Wein aus dem Pappbecher der Speisewagengesellschaft trank. Würde war für sie kein leerer Begriff, das spürte man. Vermutlich war sie nie hübsch gewesen, aber sie hatte regelmäßige Züge und auch einen gewissen Charme – wenn sie nur nicht so steif gewesen wäre. Dabei stand ihr die unbestimmte Trauer, die ihr Gesicht überschattete, gut, und sie hatte eine anmutige Art, den Kopf zur Seite zu neigen.
    »Warum sollte jemand meinen Mann getötet haben?«
    »Hatte er keine Feinde?«
    »Weder Feinde noch Freunde! Wir leben ganz zurückgezogen, wie alle Menschen, die einmal bessere Zeiten gekannt haben als diese brutale, vulgäre Nachkriegsepoche
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