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Maigret und der geheimnisvolle Kapitän

Maigret und der geheimnisvolle Kapitän

Titel: Maigret und der geheimnisvolle Kapitän
Autoren: Georges Simenon
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Bernard! Gestatten Sie, daß ich kurz zusammenfasse? … Der Gründer der Anglo-Normande ist Monsieur Charles Grandmaison. Ist das richtig? … Monsieur Charles Grandmaison hat einen einzigen Sohn, Monsieur Ernest, der jetzige Direktor …«
    »Ja.«
    Der Alte bekam es mit der Angst. Er wunderte sich über diesen inquisitorischen Ton.
    »Gut! Monsieur Charles hatte einen Bruder, der in den Kolonien starb und ebenfalls einen Sohn hinterließ, Monsieur Raymond Grandmaison …«
    »Ja. Ich sehe nicht ein …«
    »Warten Sie! Und essen Sie doch, bitte! Monsieur Raymond Grandmaison, ein Waise ohne Vermögen, wird von seinem Onkel hier aufgenommen. Man gibt ihm eine Stelle in der Firma. Welche genau?«
    Leichte Verlegenheit.
    »Hm! Man hatte ihn in die Frachtabteilung gesteckt, als Abteilungsleiter, sozusagen.«
    »Ist gut! Monsieur Charles Grandmaison stirbt. Monsieur Ernest tritt die Nachfolge an. Monsieur Raymond ist noch da?«
    »Ja.«
    »Es gibt Streit! Ist Monsieur Ernest schon verheiratet, als es zum Streit kommt?«
    »Ich weiß nicht, ob ich das sagen darf.«
    »Und ich rate Ihnen dringend zu sprechen, wenn Sie auf Ihre alten Tage keinen Ärger mit der Justiz Ihres Landes bekommen wollen.«
    »Die Justiz? Ist Monsieur Raymond zurückgekehrt?«
    »Das tut nichts zur Sache. War Monsieur Ernest verheiratet?«
    »Nein. Noch nicht.«
    »Gut! Monsieur Ernest ist der große Boß. Sein Vetter Raymond ist Abteilungsleiter. Was passiert?«
    »Ich glaube nicht, daß ich das Recht habe …«
    »Ich gebe es Ihnen.«
    »Das gibt es in allen Familien. Monsieur Ernest war wie sein Vater ein seriöser Mensch. Selbst in einem Alter, in dem man sonst Dummheiten macht, war er schon wie heute …«
    »Und Monsieur Raymond?«
    »Das genaue Gegenteil.«
    »Wie?«
    »Ich bin außer Monsieur Ernest der einzige hier, der davon weiß … Man hat Unstimmigkeiten in den Büchern entdeckt … ziemlich große Unstimmigkeiten.«
    »Und?«
    »Monsieur Raymond ist verschwunden. Das heißt, Monsieur Ernest hat ihn, anstatt ihn anzuzeigen, aufgefordert, ins Ausland zu gehen.«
    »Nach Norwegen?«
    »Ich weiß es nicht. Ich habe nie mehr etwas von ihm gehört.«
    »Und bald darauf hat sich Monsieur Ernest verheiratet?«
    »So ist es … Wenige Monate danach.«
    An den Wänden standen Regale voll dunkelgrüner Ordner. Der alte Mann aß ohne Appetit. Er war jetzt doch beunruhigt und vor allem wütend auf sich selbst, weil er sich die Würmer so hatte aus der Nase ziehen lassen.
    »Wie lange ist das her?«
    »Warten Sie … Es war in dem Jahr, als der Kanal verbreitert wurde … Fünfzehn Jahre? … Etwas weniger …«
    Seit ein paar Minuten hörten sie Schritte über ihren Köpfen.
    »Das Eßzimmer?« fragte Maigret.
    »Ja.«
    Und plötzlich überstürzte Schritte, ein dumpfer Knall, das Geräusch eines zu Boden stürzenden Körpers.
    Der alte Bernard war weißer als das Papier, in dem die Brote eingewickelt waren.
    13
    Das Haus gegenüber
    M
    onsieur Grandmaison war tot. Quer über den Teppich gestreckt, den Kopf neben einem Tischbein, die Beine unterhalb des Fensters, schien er von enormer Größe. Es war kaum Blut geflossen. Die Kugel war zwischen zwei Rippen ins Herz gedrungen.
    Der Revolver war aus der Hand des Mannes geglitten und lag ein paar Zentimeter von ihm weg.
    Madame Grandmaison weinte nicht. Sie stand an den monumentalen Kamin gelehnt und blickte auf ihren Mann, als habe sie noch nicht ganz begriffen.
    »Es ist aus«, sagte Maigret nur, als er sich wieder aufrichtete.
    Der große Salon war kalt und düster. Dunkle Vorhänge vor den Fenstern, durch die das fahle Tageslicht drang.
    »Hat er mit Ihnen gesprochen?«
    Sie schüttelte den Kopf. Mühsam brachte sie ein Stottern zustande:
    »Seit wir zurück waren, ist er nur auf und ab gegangen. Zwei- oder dreimal hat er sich mir zugewandt, und ich habe geglaubt, er würde mir etwas sagen wollen. Dann hat er plötzlich geschossen. Es ging so schnell, daß ich nicht einmal den Revolver gesehen habe.«
    Ihre Art zu sprechen war charakteristisch für Frauen, die sehr erregt sind und sich dann nur mühsam konzentrieren können. Aber ihre Augen blieben trocken.
    Es war offensichtlich, daß sie Grandmaison nie geliebt hatte, daß sie ihn auf jeden Fall nicht aus Liebe geheiratet hatte.
    Er war ihr Mann. Sie erfüllte ihre Pflichten ihm gegenüber. Eine Art Zuneigung war aus der Gewohnheit, aus dem Leben zu zweit, hervorgegangen.
    Aber jetzt vor dem Toten erlitt sie keinen dieser pathetischen
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