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Maigret und der geheimnisvolle Kapitän

Maigret und der geheimnisvolle Kapitän

Titel: Maigret und der geheimnisvolle Kapitän
Autoren: Georges Simenon
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Briefe, die ich Hélène schrieb, blieben unbeantwortet. Seit gestern weiß ich, daß sie sie nie bekommen hat. Ich schrieb auch meinem Vetter, ebenso erfolglos.
    Ich möchte mich nicht besser machen als ich bin und Sie auch nicht mit einer unglücklichen Liebesgeschichte rühren … o nein! Am Anfang dachte ich gar nicht viel darüber nach. Sie sehen, ich bin ehrlich … Ich arbeitete … ich hatte alle möglichen Schwierigkeiten. Es war weniger Liebeskummer als ein bedrückendes Heimweh, das mich dann abends überfiel.
    Ich erlebte Enttäuschungen. Eine Firma, die ich gegründet hatte, machte schlechte Geschäfte. Es gab Höhen und Tiefen über Jahre hinweg, und das in einem Land, das nicht das meine war.
    Ich änderte meinen Namen und nahm die norwegische Staatsbürgerschaft an, um bessere Voraussetzungen für meine geschäftliche Existenz zu schaffen.
    Hin und wieder besuchten mich Offiziere eines bestimmten französischen Schiffs, und auf diese Weise erfuhr ich eines Tages, daß ich einen Sohn hatte.
    Ich war nicht ganz sicher. Aber dann verglich ich die Daten. Ich war erschüttert! Ich schrieb Ernest. Ich flehte ihn an, mir die Wahrheit zu sagen, mich nach Frankreich zurückkehren zu lassen, sei es nur für ein paar Tage …
    Er antwortete mit einem Telegramm: Festnahme bei Grenzübertritt.
    Die Zeit ging dahin. Ich war darauf versessen, Geld zu verdienen. Ich will Sie nicht damit langweilen, aber ich spürte immer etwas wie eine große Leere in mir …
    In Tromsö ist drei Monate im Jahr völlige Nacht. Da verschlimmern sich die Sehnsüchte. Manchmal bekam ich regelrechte Wutanfälle.
    Ich setzte mir ein Ziel, um mich über meine Lage hinwegzutäuschen: Ich wollte so reich werden wie mein Vetter!
    Es ist erreicht. Mit dem Kabeljaurogen ist es mir gelungen. Und als ich das geschafft hatte, fühlte ich mich so unglücklich wie nie zuvor!
    Also bin ich zurückgekehrt. Es war ein plötzlicher Entschluß. Ich war entschlossen zu handeln … Nach fünfzehn Jahren, ja! … Ich habe mich hier herumgeschlichen … Ich habe meinen Jungen am Strand gesehen … Und Hélène, aus der Ferne …
    Und ich habe mich gefragt, wie ich bis dahin ohne meinen Sohn hatte leben können … Verstehen Sie das?
    Ich habe ein Schiff gekauft, unter falschem Namen, denn mein Vetter hätte nicht gezögert, mich verhaften zu lassen. Er hat Beweise aufbewahrt …
    Sie haben meine Männer gesehen, anständige Leute, wenn es auch nicht den Anschein hat. Alles ist vorbereitet gewesen …
    An jenem Abend war Ernest Grandmaison mit dem Jungen allein zu Haus. Um einen Erfolg noch sicherer zu machen, um alle Chancen auf meine Seite zu bringen, bat ich Kapitän Joris um seine Hilfe. Ich hatte ihn in Norwegen, als er noch zur See fuhr, kennengelernt.
    Er war mit dem Bürgermeister bekannt. Er sollte ihm unter irgendeinem Vorwand einen Besuch abstatten und ihn ablenken, während Grand-Louis und ich meinen Sohn entführten …
    Und da ist das Unglück dann leider passiert. Joris war mit meinem Vetter im Arbeitszimmer. Wir waren durch den Hintereingang ins Haus gedrungen … Unglücklicherweise stießen wir gegen einen Besen, der im Flur stand …
    Grandmaison mußte es gehört und geglaubt haben, man wollte bei ihm einbrechen. Er nahm seinen Revolver aus der Schublade …
    Was dann geschah? … Ich weiß es nicht. Ein Durcheinander. Joris folgte Grandmaison in den Flur … Es brannte dort kein Licht …
    Ein Schuß … Und der Zufall wollte es, daß es Joris erwischte.
    Ich war verrückt vor Angst. Ich wollte keinen Skandal, vor allem Hélènes wegen nicht. Konnte ich diese ganze Geschichte der Polizei erklären?
    Grand-Louis und ich brachten den Verwundeten auf die ›Saint-Michel‹. Er mußte irgendwo behandelt werden. Wir nahmen Kurs auf England, wo wir wenige Stunden später ankamen.
    Aber ohne Paß an Land zu gehen, war leider unmöglich. Und die Polizei dort ist sehr wachsam … Überall auf den Kais stehen Wachposten …
    Ich habe ein bißchen Medizin studiert. Ich pflegte Joris an Bord so gut ich konnte, aber es genügte natürlich nicht. Ich ließ nach Holland steuern, und dort wurde er dann operiert, aber man konnte ihn nicht länger in der Klinik behalten, ohne die Behörden zu benachrichtigen.
    Eine entsetzliche Reise! Können Sie sich uns vorstellen, wir an Bord, mit dem armen Joris, der mit dem Tode kämpft?
    Er brauchte einen Monat Ruhe und Pflege. Ich dachte schon daran, die ›Saint-Michel‹ nach Norwegen zu bringen. Aber es war nicht
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