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Maigret und der geheimnisvolle Kapitän

Maigret und der geheimnisvolle Kapitän

Titel: Maigret und der geheimnisvolle Kapitän
Autoren: Georges Simenon
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de Lutèce ankam, rief mich Ernest an und bat mich, heimzukommen und nicht zur Schule zu fahren.«
    »Und heute vormittag rief Raymond Sie hier an?«
    »Ja. Er bat mich dringend, ihm ein wenig Geld zu bringen. Er beschwor mich, daß unser aller Frieden davon abhinge.«
    »Hat er Ihren Mann nicht beschuldigt?«
    »Nein. In dem Häuschen dort erwähnte er ihn nicht einmal, sondern er sprach von Freunden, Seeleuten, denen er Geld geben mußte, damit sie das Land verlassen konnten. Er sagte etwas von Schiffbruch.«
    Der Arzt traf ein. Er war ein Freund der Familie. Entsetzt sah er auf den Leichnam.
    »Monsieur Grandmaison hat Selbstmord begangen«, sagte Maigret bestimmt. »Es ist an Ihnen, festzustellen, welcher Krankheit er erlegen ist. Sie verstehen mich? Um die polizeilichen Dinge kümmere ich mich dann selbst …«
    Er verbeugte sich vor Madame Grandmaison, die ihn zögernd ansah, bevor sie schließlich noch fragte:
    »Sie haben mir nicht gesagt, warum …«
    »Raymond wird es Ihnen eines Tages sagen. Noch eine letzte Frage: Am 16. September war Ihr Sohn bei Ihrem Mann in Ouistreham, nicht wahr?«
    Er stand schon an der Tür.
    »Ja. Er ist dort bis zum zwanzigsten geblieben.«
    Maigret ging hinaus, stieg nachdenklich die Treppe hinab, durchquerte die Büros. Ihm war, als trüge er eine Last auf den Schultern, und Übelkeit stieg in ihm auf.
    Draußen atmete er tief ein, blieb eine Weile ohne Hut im Regen stehen, wie um sich zu erfrischen und die düstere Atmosphäre des Hauses von sich zu schütteln.
    Ein letzter Blick zu den Fenstern hinauf. Ein anderer zum Haus gegenüber, in dem Madame Grandmaison ihre Jugend verbracht hatte.
    Ein Seufzer.
     
    »Kommen Sie!«
    Maigret hatte die Tür in den kahlen Raum geöffnet, in dem Raymond eingesperrt war. Er bedeutete dem Gefangenen, ihm zu folgen. Er schritt voraus, hinaus auf die Straße, schlug den Weg zum Hafen ein.
    Der andere wunderte sich, war irgendwie beunruhigt über diese sonderbare Befreiung.
    »Sie haben mir nichts zu sagen?« brummte Maigret sichtlich verstimmt.
    »Nichts!«
    »Wollen Sie sich verurteilen lassen?«
    »Ich kann vor den Richtern nur wiederholen, daß ich nicht getötet habe.«
    »Aber die Wahrheit wollen sie ihnen nicht sagen?«
    Raymond senkte den Kopf. Das Meer tauchte vor ihnen auf. Man hörte die Signale des Schleppers, der auf die Molen zufuhr und die ›Saint-Michel‹ an einer Stahltrosse hinter sich her zog.
    Und da sagte Maigret leise, als wäre überhaupt nichts dabei:
    »Grandmaison ist tot.«
    »Was? Was sagen Sie da?«
    Der andere hatte ihn am Arm gepackt und drückte ihn heftig.
    »Ist er …?«
    »Er hat sich vor einer Stunde in seinem Haus das Leben genommen.«
    »Hat er geredet?«
    »Nein! Er ist eine Viertelstunde lang im Salon auf und ab gegangen, dann hat er geschossen … Das ist alles.«
    Sie gingen weiter. In der Ferne sah man die Menschenmenge, die sich auf den Schleusenmauern tummelte und den Bergungsarbeiten zusah.
    »Nun, Sie können mir jetzt also die Wahrheit sagen, Raymond Grandmaison … Übrigens kenne ich sie in groben Zügen. Sie wollten Ihren Sohn zu sich holen, nicht wahr?«
    Keine Antwort.
    »Sie haben sich dabei unter anderem auch von Kapitän Joris helfen lassen. Und das Unglück wollte es …«
    »Schweigen Sie! Wenn Sie wüßten …«
    »Kommen Sie hier entlang, da sind weniger Leute.«
    Ein schmaler Weg führte zu dem verlassenen Strand, an den die Wellen brandeten.
    »Sind Sie damals tatsächlich mit der Kasse auf und davon?«
    »Hat Hélène Ihnen erzählt …?«
    Seine Stimme wurde schneidend.
    »Ja. Ernest muß ihr die Geschichte auf seine Weise erzählt haben. Ich will nicht behaupten, daß ich ein Heiliger war. Im Gegenteil! Ich war leichtlebig, wie man so sagt. Vor allem hatte ich eine Zeit, da ich leidenschaftlich spielte. Ich gewann … Ich verlor … Eines Tages griff ich dann tatsächlich in die Firmenkasse. Mein Vetter merkte es.
    Ich versprach, es nach und nach zurückzuzahlen. Ich flehte ihn an, keinen Skandal daraus zu machen.
    Er stellte mir eine Bedingung, denn eigentlich wollte er mich anzeigen. Ich sollte ins Ausland gehen, nie mehr einen Fuß nach Frankreich setzen!
    Verstehen Sie? Er wollte Hélène! Und er hat sie bekommen!«
    Raymond lächelte schmerzlich, schwieg einen Moment, ehe er fortfuhr:
    »Andere gehen in den Süden oder in den Orient. Mich aber hat der Norden schon immer gereizt und so habe ich mich in Norwegen niedergelassen. Aus der Heimat hörte ich nichts mehr. Die
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