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Maigret und der Gehängte von Saint-Pholien

Maigret und der Gehängte von Saint-Pholien

Titel: Maigret und der Gehängte von Saint-Pholien
Autoren: Georges Simenon
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Verbindung bestand zwischen ihnen! Van Damme hatte sich nicht die Mühe gemacht, das Leichenschauhaus aufzusuchen, bloß um die sterblichen Überreste eines Unbekannten zu betrachten. Und es war auch nicht allein das Vergnügen, Französisch sprechen zu können, gewesen, das ihn veranlaßt hatte, Maigret zum Essen einzuladen.
    Dazu kam, daß er erst nach und nach sein wahres Gesicht gezeigt hatte, in dem Maße nämlich, wie ihm der Kommissar der Angelegenheit gegenüber gleichgültiger erschienen war – oder vielleicht gar einfältiger.
    Am Morgen war er unruhig gewesen, sein Lächeln gezwungen.
    Der Mann aber, von dem der Kommissar sich verabschiedet hatte, war ganz der wendige Allerweltskerl gewesen, der unablässig hin und her flitzt, Reden führt, sich für etwas begeistert, in ständigem Kontakt mit den Finanzgrößen steht, in seinem Wagen herumkutschiert, telefoniert, seine Sekretärin mit Anweisungen bombardiert und der zu erstklassigen Diners einlädt, stolz und zufrieden, so zu sein, wie er ist.
    Demgegenüber ein abgehärmter, schäbig gekleideter Landstreicher mit durchlöcherten Schuhsohlen, der sich Wurstbrötchen gekauft hatte, ohne zu ahnen, daß er sie nicht essen würde …
    Zweifellos hatte van Damme inzwischen jemand anderen gefunden, der ihm beim abendlichen Aperitif in derselben Atmosphäre von Wiener Musik und Bier Gesellschaft leistete.
    Um sechs Uhr würde sich ein Metallbehälter geräuschlos in Bewegung setzen, sein Deckel sich über dem nackten Körper des falschen Jeunet schließen und der Aufzug ihn zu dem Kühlschrank hinaufbefördern, wo er bis zum folgenden Morgen in einem numerierten Fach untergebracht sein würde.
    Maigret schlug den Weg zum Polizeipräsidium ein. Trotz der kalten Jahreszeit trieben Polizisten auf dem von einer grellroten Mauer umgebenen Hof mit nacktem Oberkörper Gymnastik.
    Im Laboratorium erwartete ihn ein junger Mann mit träumerischem Blick an einem Tisch, auf dem die Habseligkeiten des Toten mit Etiketten versehen nebeneinander aufgereiht lagen.
    Sein Französisch war korrekt, die Aussprache gewissenhaft. Er setzte seinen Stolz darein, immer genau das richtige Wort zu benutzen.
    Er begann mit dem grauen Anzug, den Jeunet zum Zeitpunkt seines Todes getragen hatte; erklärte, man habe das Futter herausgetrennt und alle Nähte überprüft, dabei jedoch nichts entdeckt.
    »Der Anzug stammt aus dem Kaufhaus Belle-Jardinière in Paris, ein billiger Stoff, fünfzig Prozent Baumwollfaser. Es sind Fettflecken darauf festgestellt worden, teilweise von mineralischen Fetten herrührend, was darauf zu deuten scheint, daß der Mann in einer Fabrik, einer Werkstatt oder Garage angestellt war oder sich häufig dort aufgehalten hat. Seine Unterwäsche trägt keinerlei Warenzeichen. Die Schuhe sind in Reims gekauft worden, ein Massenfabrikat derselben billigen Qualität wie der Anzug. Bei den Socken handelt es sich um ein Baumwollprodukt von der Art wie Straßenhändler das Paar zu vier oder fünf Francs anbieten. Sie sind zerlöchert, sind aber nie gestopft worden.
    Alle Kleidungsstücke sind in einer dichten, starken Tüte ausgeschüttelt worden, um den Staub einer genauen Analyse zu unterziehen.
    Das Ergebnis dieser Untersuchung hat die Herkunft der Fettspuren bestätigt. Das Gewebe ist tatsächlich mit dem feinen Metallstaub durchsetzt, den man nur in der Arbeitskleidung von Maschinenschlossern, Drehern und all denen findet, die in mechanischen Werkstätten arbeiten.
    Das trifft jedoch nicht auf die Kleidungsstücke zu, die ich als Kleidung B bezeichnet habe, und die seit einigen Jahren – ich würde sagen mindestens sechs – nicht mehr getragen worden sind.
    Ein weiterer Unterschied: In den Taschen von Anzug A waren Spuren französischen Tabaks enthalten, und zwar von der Sorte, die tabac gris genannt wird.
    In den Taschen von B dagegen wurden Krümel eines blonden Imitation-Orienttabaks gefunden.
    Aber, und hiermit komme ich zum wichtigsten Punkt, bei den am Anzug B festgestellten Flecken handelt es sich nicht um Fettflecken, sondern um alte, durch menschliches Blut verursachte Flecken – arterielles Blut wahrscheinlich.
    Der Stoff ist seit Jahren nicht mehr gereinigt worden. Der Mann, der diesen Anzug trug, muß buchstäblich im Blut geschwommen haben. Außerdem lassen die vorhandenen Risse vermuten, daß ein Kampf stattgefunden hat, denn an verschiedenen Stellen, den Aufschlägen beispielsweise, sind die Querfäden des Gewebes so zerrissen, als hätten sich
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