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Maigret bei den Flamen

Maigret bei den Flamen

Titel: Maigret bei den Flamen
Autoren: Georges Simenon
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sondern blickte nur durch die Luke. Sturmböen fegten über das Haus hinweg. Man hörte den Fluß grollen, und in der Dunkelheit sah man die Lichtflecken einiger Gaslaternen auf seiner u n ruhigen Oberfläche tanzen.
    Links auf dem Dachsims befand sich ein Behälter aus Zink, der mindestens zwei Kubikmeter faßte und auf den der Inspektor ohne zu zögern zuging. Er diente o f fenbar dazu, Regenwasser zu sammeln.
    Machère beugte sich darüber , schien enttäuscht, ging noch einige Schritte auf dem Dach hin und her und bückte sich dann, um etwas aufzuheben.
    Anna wartete schweigend in der Dunkelheit, hinter Maigret. Erst kamen die Beine des Inspektors wieder zum Vorschein, dann sein Oberkörper, schließlich sein Gesicht.
    »Ein Versteck, auf das ich erst heute nachmittag gekommen bin, als ich feststellte, daß die Leute in meinem Hotel Regenwasser trinken. Aber da oben ist die Leiche auch nicht …«
    »Was haben Sie aufgehoben?«
    »Ein Taschentuch. Ein Damentaschentuch …«
    Er faltete es auseinander, leuchtete mit seiner Taschenlampe darauf und suchte vergeblich nach einem Monogramm. Das Tuch war schmutzig und hatte schon längere Zeit im Freien gelegen.
    »Wir werden uns später darum kümmern«, seufzte der Inspektor und ging zur Tür.
     
     
    Als sie wieder in die warme Atmosphäre des Eßzimmers kamen, saß Joseph Peeters auf dem Klavierhocker und las den Zeitungsausschnitt, den Marguerite ihm gerade gegeben hatte. Sie stand aufrecht vor ihm, und ihr brei t randiger Hut, ihr mit kleinen Volants besetzter Mantel betonten noch ihre zierliche, ätherische Erscheinung.
    »Würden Sie mich heute abend in meinem Hotel aufsuchen?« sagte Maigret zu dem jungen Mann.
    »In welchem Hotel?«
    »Im Hôtel de la Meuse!« mischte Anna sich ein.
    »Sie wollen uns doch nicht schon verlassen, Herr Kommissar? Ich wollte Sie bitten, zum Abendessen zu bleiben, aber …«
    Maigret ging durch die Küche. Madame Peeters sah ihn verblüfft an.
    »Sie gehen schon?«
    Der Greis blickte mit leeren Augen vor sich hin. Er rauchte eine Meerschaumpfeife und schien an nichts anderes zu denken. Er grüßte nicht einmal.
    Draußen tobte der Wind, das Hochwasser der Maas gurgelte, und die Kähne, die Seite an Seite vertäut lagen, schlugen hart gegeneinander. Inspektor Machère wec h selte rasch auf die andere Seite, als er merkte, daß er rechts von Maigret ging.
    »Glauben Sie, daß sie unschuldig sind?«
    »Keine Ahnung. Haben Sie Tabak?«
    »Nur den ganz einfachen Knaster … Wissen Sie, daß man in Nancy viel von Ihnen spricht? Und das beunr u higt mich. Denn diese Peeters …«
    Maigret war vor den Kähnen stehengeblieben und ließ seinen Blick über sie schweifen. Wegen des Hochwassers, das die Schiffahrt lahmlegte, wirkte Givet wie ein großer Binnenhafen. Sogar einige Lastkähne vom Rhein, ta u send Tonnen groß und ganz aus schwarzem Stahl, hatten hier festgemacht. In ihrer Nähe nahmen sich die hölzernen Kähne aus dem Norden wie lackiertes Spielzeug aus.
    »Ich muß mir unbedingt eine Mütze kaufen!« brummte der Kommissar, der seinen Hut festhalten mußte.
    »Was hat man Ihnen eigentlich erzählt? Natürlich, daß sie unschuldig sind, oder?«
    Wegen des heulenden Sturms mußte man sehr laut sprechen. Die Stadt, fünfhundert Meter entfernt, war nur eine Ansammlung von Lichtern. Das Haus der Flamen zeichnete sich mit seinen schwachgelb erleuchteten Fenstern gegen den unruhigen Himmel ab.
    »Woher kommen sie?«
    »Aus dem Norden Belgiens … Der Vater Peeters ist im Limburgischen geboren, nahe der holländischen Grenze. Er ist zwanzig Jahre älter als seine Frau, müßte also jetzt über achtzig sein. Er war Korbmacher. Bis vor einigen Jahren übte er seinen Beruf noch aus, mit vier Arbeitern in der Werkstatt hinter dem Haus. Inzwischen ist er hoffnungslos verkalkt.«
    »Sind sie reich?«
    »So sagt man! Das Haus gehört ihnen. Sie haben sogar armen Schiffern, die ein Boot kaufen wollten, Geld geliehen. Sehen Sie, Kommissar, diese Leute haben nicht die gleiche Mentalität wie wir. Die alte Peeters hat mehrere hunderttausend Francs auf der Bank, aber das hindert sie nicht, den Kunden ein Tröpfchen auszusche n ken, wie sie es nennen … Aber der Sohn soll Anwalt werden. Die ältere Tochter hat Klavierstunden geno m men. Die andere ist Lehrerin in einer großen Kloste r schule in Namur. Das ist mehr als nur eine gewöhnliche Lehrerin. Etwa soviel wie Klassenlehrerin an einem L y zeum.«
    Machère zeigte auf die Kähne.
    »Auf den
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