Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Maigret - 70 - Maigret und der Messerstecher

Maigret - 70 - Maigret und der Messerstecher

Titel: Maigret - 70 - Maigret und der Messerstecher
Autoren: Georges Simenon
Vom Netzwerk:
wie achtlos auf einen Beistelltisch und setzte sich seinem Besucher gegenüber in einen Sessel.
    »Ich weiß nicht, womit ich anfangen soll. Es ist so schwierig …«
    »Ich werde Ihnen zuerst ein paar Fragen stellen … Wie heißen Sie?«
    »Robert Bureau … Ist gewissermaßen symbolisch, weil mein Vater und ich in einem Büro …«
    »Wo wohnen Sie?«
    »Ich habe eine kleine Wohnung in der Rue de l’École de Médecine in einem uralten Gebäude im Hinterhof. Ich arbeite bei einer Versicherungsgesellschaft in der Rue Laffitte … Besser gesagt, ich habe dort gearbeitet … Damit ist wohl jetzt Schluss, nicht wahr?«
    Der letzte Satz klang resigniert und traurig. Er war jetzt besänftigt und sah sich in dieser ruhigen Umgebung um, als versuche er, sich in sie einzufügen.
    »Wo sind Sie geboren?«
    »In Saint-Amand-Montrond, südlich von Bourges. Es gibt dort eine große Druckerei, die Imprimerie Mamin et Delvoye, die für verschiedene Pariser Verlage arbeitet. Da ist mein Vater angestellt, und die Namen Mamin und Delvoye sind das Höchste für ihn … Wir haben in einem kleinen Haus in der Nähe des Canal du Berry gewohnt, meine Eltern leben immer noch dort.«
    Um ihn nicht zu erschrecken, wollte Maigret auf Umwegen zu den wesentlichen Fragen kommen.
    »Haben Sie Ihre Heimatstadt nicht gemocht?«
    »Nein.«
    »Warum?«
    »Ich hatte das Gefühl zu ersticken. Jeder kennt dort jeden. Wenn man durch die Straßen geht, sieht man, wie sich die Vorhänge hinter den Fenstern bewegen … Immer wieder habe ich meine Eltern murmeln hören:
    ›Was würden die Leute dazu sagen?‹«
    »Waren Sie ein guter Schüler?«
    »Klassenbester, bis ich vierzehneinhalb war. Für meine Eltern war das schon so selbstverständlich, dass sie schimpften, wenn ich einmal keine Eins hatte …«
    »Wann haben Sie allmählich Angst bekommen?«
    Maigret hatte den Eindruck, dass sein Gegenüber bleicher wurde, dass sich zwei Grübchen seitlich der Nase bildeten und er trockene Lippen bekam.
    »Ich weiß selbst nicht, wie ich es bis jetzt für mich behalten konnte …«
    »Was ist passiert, als Sie vierzehneinhalb waren?«
    »Kennen Sie die Gegend?«
    »Ich bin mal durchgefahren …«
    »Der Cher fließt parallel zum Kanal. Manchmal nähert er sich bis auf etwa zehn Meter. Er ist breit, aber nicht tief, und an manchen Stellen bilden Steine und Felsblöcke eine Furt.
    Das Ufer ist mit Weiden und allen möglichen Büschen bewachsen … Vor allem in der Nähe von Drevant, einem Dorf, das etwa drei Kilometer von Saint-Amand entfernt ist. Dort haben immer die Dorfkinder gespielt … Ich habe nicht mitgespielt …«
    »Warum nicht?«
    »Meine Mutter hat behauptet, sie seien verdorben. Manche haben splitternackt im Fluss gebadet … Fast alle sind Söhne von Druckereiarbeitern gewesen, und meine Eltern haben sehr auf den Unterschied zwischen Arbeitern und Angestellten gepocht.
    Es waren vielleicht fünfzehn oder zwanzig, die dort gespielt haben … Auch zwei Mädchen waren dabei … Eine von ihnen, sie hieß Renée und war etwa dreizehn, war körperlich schon sehr weit, und ich war verliebt in sie …
    Ich habe viel über alles nachgedacht, Herr Kommissar, und mich gefragt, ob es anders gekommen wäre, wenn … Wahrscheinlich, ja … Ich suche keine Entschuldigungen …
    Ein Junge, der Sohn des Metzgers, hat sie im Gebüsch geküsst … Ich habe die beiden überrascht … Sie sind mit den anderen baden gegangen … Der Junge hieß Raymond Pomel und war rothaarig wie sein Vater, bei dem wir unser Fleisch kauften.
    Dann musste er austreten und geriet, ohne es zu wissen, in meine Nähe. Ich habe mein Messer aus der Tasche gezogen und die Klinge aufspringen lassen …
    Ich schwöre Ihnen, dass ich nicht wusste, was ich tat … Ich habe zugestochen, ich weiß nicht, wie oft, mit dem Gefühl, mich von irgendetwas zu befreien … Ich konnte in dem Augenblick einfach nicht anders, ich musste es tun … Es war für mich kein Verbrechen, diesen Jungen umzubringen … Ich habe nur zugestochen … Und ich habe immer noch zugestochen, als er schon am Boden lag, dann bin ich ganz ruhig weggegangen …«
    Er war lebhaft geworden, seine Augen funkelten.
    »Sie haben ihn erst zwei Stunden später gefunden … Niemandem war aufgefallen, dass von den etwa zwanzig jungen Burschen einer fehlte … Ich habe mein Messer im Kanal gewaschen und bin dann nach Hause gegangen …«
    »Wie kam es, dass Sie in diesem Alter schon ein solches Messer hatten?«
    »Ich hatte es einige
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher