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Maigret - 43 - Hier irrt Maigret

Maigret - 43 - Hier irrt Maigret

Titel: Maigret - 43 - Hier irrt Maigret
Autoren: Georges Simenon
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ist nicht gerade alles. Aber das übrige ist reichlich vage.«
    Vielleicht sagte er es mehr zu sich selbst, um Ordnung in seine Gedanken zu bringen; nichtsdestoweniger war Janvier geschmeichelt, Zeuge dieses Monologs zu sein.
    »Irgendwo muß es einen Mann geben, der Lulu die Wohnung in der Avenue Carnot eingerichtet hat. Es hat mir heute morgen schon zu denken gegeben, daß ein Mädchen wie sie in diesem Haus wohnt. Verstehst du, was ich meine?«
    »Ja.«
    Das war nicht die Art Haus, in dem ausgehaltene Frauen zu wohnen pflegten. Das war auch nicht die Art Stadtviertel. Das Haus in der Avenue Carnot schwitzte Wohlleben und bürgerliche Ehrbarkeit geradezu aus allen Poren, und es war seltsam, daß der Hauseigentümer oder Verwalter sich bereit erklärt hatte, eine Wohnung an ein Mädchen zu vermieten.
    »Zuerst habe ich mir gesagt, daß ihr Geliebter sie dort einquartiert hat, um sie in seiner Nähe zu haben. Wenn aber die Concierge nicht gelogen hat, so empfing Lulu außer Pierrot keine anderen Besucher. Sie ging auch nicht regelmäßig aus, und es kam vor, daß sie eine ganze Woche zu Hause blieb.«
    »Ich fange an zu verstehen.«
    »Zu verstehen? Was eigentlich?«
    Janvier wurde rot und bekannte:
    »Ich weiß es nicht.«
    »Ich weiß es auch nicht. Ich stelle nur Vermutungen an. Die Männerpantoffeln und der Schlafrock aus dem Wandschrank gehören bestimmt nicht dem Saxophonspieler. In dem Modegeschäft in der Rue de Rivoli kann niemand sagen, wer den Schlafrock gekauft hat. Sie haben Hunderte von Kunden und tragen die Namen der Leute, die bar zahlen, nicht in ihre Bücher ein. Was den Schuhmacher betrifft, so ist er ein alter Sonderling, der behauptet, er habe heute keine Zeit, in den Büchern nachzusehen. Er hat versprochen, es in den nächsten Tagen zu tun.
    Auf jeden Fall hat noch ein anderer Mann als Pierrot Louise Filon regelmäßig besucht, ein Mann, der intim genug mit ihr war, um bei ihr in Schlafrock und Pantoffeln herumzugehen. Wenn ihn die Concierge nie gesehen hat …«
    »Dann wohnt er vielleicht im Hause selbst.«
    »Das scheint mir die logischste Erklärung zu sein.«
    »Haben Sie eine Liste der Mieter?«
    »Lucas hat mir die Namen soeben telefonisch durchgegeben.«
    Janvier fragte sich, warum der Chef wieder seine verdrossene Miene aufgesetzt hatte, als mißfalle ihm etwas an der Geschichte.
    »Was du mir von Lulus Krankheit und ihrer Operation erzählt hast, könnte ein Hinweis sein, und in diesem Fall …«
    Er unterbrach sich, steckte sich eine Pfeife an und beugte sich über die Namensliste auf seinem Schreibtisch.
    »Weißt du, wer genau über ihr wohnt? Professor Gouin, der bekannte Chirurg, zufällig einer der größten Spezialisten für Gehirnoperationen.«
    »Ist er verheiratet?« fragte Janvier sofort.
    »Natürlich ist er verheiratet, und er lebt mit seiner Frau zusammen.«
    »Was werden Sie tun?«
    »Mich zuerst mit der Concierge unterhalten. Auch wenn sie mich heute morgen nicht angelogen hat, so hat sie mir bestimmt nicht die ganze Wahrheit gesagt. Vielleicht statte ich auch Mutter Brault einen Besuch ab, auf die wahrscheinlich das gleiche zutrifft.«
    »Und ich? Was soll ich jetzt tun?«
    »Du bleibst hier. Wenn Janin anruft, sagst du, er soll in dem Viertel nach Pierrot suchen. Laß ihm eine Fotografie von ihm überbringen.«
    Obwohl es erst fünf Uhr nachmittags war, war es schon ganz dunkel, als Maigret in einem Polizeiwagen durch die Straßen fuhr. Heute morgen, als seine Frau aus dem Fenster gesehen hatte, um die Kleidung der Passanten zu beobachten, war ihm ein komischer Gedanke gekommen. Er hatte sich gesagt, daß dieser Tag genau dem entsprach, was man sich unter einem »Werktag« vorstellt. Das Wort war ihm grundlos eingefallen, wie einem der Refrain eines Liedes einfällt. Es war einer von den Tagen, von denen man sich nicht vorstellen konnte, daß die Leute zu ihrem Vergnügen draußen sein konnten, ja nicht einmal, daß es überhaupt einen Ort gab, an dem sie sich mit Vergnügen aufhielten. Ein Tag, an dem man es eilig hatte, seinen Pflichten nur mit Überwindung nachkam, durch Pfützen watete, sich in die Metro, in Läden oder Büros drängte und doch immer nur von Kälte und Feuchtigkeit umgeben blieb.
    Auch er hatte heute so gearbeitet, in seinem überheizten Büro, ohne jeden Enthusiasmus. Und in dieser Stimmung fuhr er jetzt wieder zu dem riesigen, unansehnlichen Steinbau in der Avenue Carnot. Der gute Lucas war immer noch auf seinem Posten, oben im dritten Stock,
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