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Maigret - 29 - Maigret und sein Toter

Maigret - 29 - Maigret und sein Toter

Titel: Maigret - 29 - Maigret und sein Toter
Autoren: Georges Simenon
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verfolgte.
    »Sie haben ihn also doch gekriegt, wie? Ich muss zugeben, dass ich gestern noch versucht war zu denken, es handle sich um einen dummen Scherz oder um einen Verrückten.«
    »Ich nicht. Schon bei seinem ersten Anruf habe ich geglaubt, was er sagte.«
    Warum, hätte er nicht zu erklären vermocht. Ganz bestimmt nicht, weil der Mann ihn persönlich angerufen hatte. Während er mit dem Chef sprach, wanderte sein Blick hinaus, zum Quai gegenüber, der jetzt in der Sonne lag.
    »Der Staatsanwalt hat Richter Coméliau mit der Untersuchung beauftragt. Sie werden sich heute Mittag ins Gerichtsmedizinische Institut begeben. Kommen Sie auch hin?«
    »Wozu?«
    »Gehen Sie doch auf jeden Fall zu Coméliau, oder rufen Sie ihn an. Er ist ziemlich empfindlich.«
    Maigret konnte ein Lied davon singen.
    »Glauben Sie nicht, es könnte sich um einen Vergeltungsschlag handeln?«
    »Ich weiß es nicht. Ich werde dieser Vermutung nachgehen, obwohl ich nicht den Eindruck habe. Die Leute aus dem Milieu machen sich gewöhnlich nicht die Mühe, ihre Opfer auf der Place de la Concorde zur Schau zu stellen.«
    »Tja! Tun Sie Ihr Bestes. Höchstwahrscheinlich wird ihn früher oder später doch jemand wiedererkennen.«
    »Das würde mich wundern.«
    Auch diese Vermutung hätte er nur schwer begründen können. In seinem Kopf stand alles fest. Aber sobald er es in Worte zu fassen versuchte, und sei es auch nur für sich selbst, wurde alles verworren.
    Immer wieder diese Geschichte mit der Place de la Concorde. Sie hatten also Wert darauf gelegt, dass die Leiche entdeckt würde, und zwar bald. Es wäre leichter und weniger gefährlich gewesen, sie beispielsweise in die Seine zu werfen, wo es Wochen hätte dauern können, bis man sie auffischte.
    Das Opfer war weder reich noch berühmt, sondern ein kleiner, unbedeutender Mensch gewesen.
    Warum hatte man ihm, wenn man wollte, dass er der Polizei in die Hände fiel, nach dem Mord das Gesicht zerschlagen und alles aus den Taschen genommen, was zu seiner Identifizierung hätte beitragen können?
    Das Etikett der Jacke hatte man hingegen nicht herausgetrennt. Offensichtlich weil man wusste, dass es sich um Konfektionskleidung handelte, wie sie zu Tausenden verkauft wird.
    »Sie sehen beunruhigt aus, Maigret.«
    Er konnte nur wiederholen:
    »Es passt einfach nichts zusammen.«
    Zu viele Einzelheiten wollten sich nicht ineinanderfügen. Vor allem eine ließ ihm keine Ruhe, ja ärgerte ihn geradezu.
    Wann war der letzte Anruf erfolgt? Das letzte Lebenszeichen des Mannes war im Grunde der Zettel, den er auf dem Postamt am Faubourg Saint-Denis abgegeben hatte.
    Das war am helllichten Tag gewesen. Seit elf Uhr morgens hatte der Unbekannte keine Gelegenheit versäumt, mit dem Kommissar Kontakt aufzunehmen.
    Und auf dem Zettel hatte er ihn noch um Hilfe gebeten, und zwar noch dringender als vorher. Er hatte ihn sogar gebeten, die Polizisten zu alarmieren, damit jeder von ihnen ihm auf der Straße auf den geringsten Zuruf hin zu Hilfe eilen konnte.
    Aber er war zwischen acht und zehn Uhr abends ermordet worden.
    Was hatte er von vier bis acht Uhr getan? Nirgends ein Zeichen von ihm, nicht die geringste Spur. Nur Schweigen, ein Schweigen, das Maigret schon am Tag zuvor beunruhigt hatte, wenn er es auch nicht gezeigt hatte. Es hatte ihn an eine U-Boot-Katastrophe erinnert, an der – dank des Radios – sozusagen die ganze Welt Minute für Minute teilgenommen hatte. Irgendwann hatte man noch die Klopfzeichen der Männer gehört, die in dem auf den Meeresgrund gesunkenen U-Boot eingeschlossen waren. Man konnte sich vorstellen, wie die Suchboote darüber hinwegkreuzten. Aber dann waren die Zeichen immer seltener geworden. Und plötzlich, nach Stunden, nur noch Schweigen.
    Er, der Unbekannte, Maigrets Toter, hatte keinen einzigen triftigen Grund gehabt zu schweigen. Er konnte unmöglich am helllichten Tag in den belebten Straßen von Paris entführt worden sein. Und er war nicht vor acht Uhr getötet worden.
    Man musste annehmen, dass er nach Hause gegangen war; schließlich hatte er eine andere Jacke angezogen.
    Er hatte zu Hause oder in einem Restaurant zu Abend gegessen. Und er hatte in aller Ruhe gespeist, denn er hatte Zeit gehabt, Suppe, Stockfischpüree à la provençale und einen Apfel zu essen. Und gerade dieser Apfel erweckte die Vorstellung, er sei ruhig gewesen.
    Warum war er mindestens zwei Stunden lang stumm geblieben?
    Er hatte nicht gezögert, den Kommissar immer wieder zu stören, ihn
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