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Maigret - 18 - Maigret in Nöten

Maigret - 18 - Maigret in Nöten

Titel: Maigret - 18 - Maigret in Nöten
Autoren: Georges Simenon
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Wo mochte sein schwacher Punkt sein?
    »Was ist aus Ihrer Geliebten geworden?«
    »Ich habe ihr gesagt, sie solle das Feld räumen, und ich weiß nicht einmal, wohin sie gegangen ist. Umgekehrt hat sie so guten Geschmack bewiesen, dass sie in Trauerkleidung mit dem gepuderten Gesicht einer reuigen Nutte bei der Beerdigung aufkreuzte!«
    Er rieb sich auf. Alles sträubte sich in ihm. Das ging so weit, dass man hätte meinen können, die Gegenstände selbst seien ihm zuwider, wie dieses Tischdeckchen, das er immer noch befingerte.
    »Im ›Maxim’s‹ war sie ein charmantes, fröhliches Mädchen gewesen. Damals hat sie für mich etwas anderes verkörpert als meine Frau und ihresgleichen! Und kaum besorge ich ihr eine Wohnung, beginnt sie Fett anzusetzen, wäscht fleißig ihre Wäsche und kocht selber, wie eine Concierge.«
    Maigret hatte dieses possenhafte Drama längst begriffen, das Ducraus Dasein vergiftete. Er hatte bei null angefangen. Er verdiente Geld in Hülle und Fülle. Er bekam es bei seinen Geschäften mit Leuten zu tun, deren großbürgerlicher Lebenswandel ihm nicht entging. Er aber zog seinen Anhang hinter sich her. Seine Frau verhielt sich in Samois genauso wie damals, als sie noch hinten auf dem Kahn Wäsche wusch, sie hatte immer noch dieselben Gewohnheiten, und ihre Tochter war nichts weiter als die Karikatur einer Kleinbürgerin.
    Ducrau litt darunter wie unter einer persönlichen Beleidigung, und er spürte genau, dass seine Nachbarn ihn trotz des großen weißen Hauses, des Fahrers und des Gärtners nicht für voll nahmen.
    Sie auf ihren Rasenplätzen und Terrassen zu sehen erfüllte ihn mit Neid. Es machte ihn rasend, aber er wusste sich nicht anders zu wehren, als auf den Boden zu spucken, die Hände in den Taschen zu vergraben und laut zu fluchen.
    Als er Schritte auf der Treppe hörte, blinzelte er und seufzte:
    »Da kommen die beiden andern!«
    Es waren seine Tochter und der Schwiegersohn, beide in großer Aufmachung, ganz in Schwarz, gut frisiert. Sie verbeugten sich mit der schmerzvollen Unaufdringlichkeit, wie sie Leuten eigen ist, die von großem Leid heimgesucht wurden.
    »Sehr erfreut, Monsieur. Vater hat uns gegenüber oft von Ihnen gesprochen und …«
    »Schon gut! Trinkt lieber etwas!«
    Seine Gehässigkeit nahm durch ihre Anwesenheit noch zu. Er stand am Fenster, sah auf das Gitter hinaus, das sich vor der Seine abhob.
    »Entschuldigen Sie uns bitte, Herr Kommissar …«
    Der Schwiegersohn war ein blonder, korrekter, ergebener Mann.
    »Ein Schlückchen Porto?«, fragte er seine Frau.
    »Was nehmen denn Sie, Herr Kommissar?«
    Ducrau am Fenster trommelte vor Ungeduld mit den Fingern. Vermutlich war er gerade im Begriff, sich irgendeine Boshaftigkeit auszudenken. Jedenfalls drehte er sich plötzlich um und knurrte:
    »Der Kommissar hat mich einiges über euch gefragt. Und da er weiß, dass ihr Schulden habt, hat er mich darauf hingewiesen, dass ihr im Fall meines Ablebens aus dem Schneider gewesen wärt. Der Tod Jeans macht eure Aussichten sogar noch rosiger.«
    »Papa! …«, schrie seine Tochter auf und tupfte sich mit einem schwarz umrandeten Taschentuch die Augen.
    »Papa! …«, äffte er sie nach. »Na und? Hab etwa ich Schulden? Bin ich es etwa, der in den Süden ziehen will?«
    Für das Paar war es nichts Ungewohntes, und Decharme verhielt sich recht geschickt: Er lächelte ein kaum verkennbares trauriges Lächeln, als seien diese Worte als Scherz oder als Auswüchse einer vorübergehenden Missgelauntheit aufzufassen. Er hatte schöne, lange weiße Hände, die er streichelte, indem er mit seinem Platin-Ehering spielte.
    »Habe ich Ihnen schon gesagt, dass sie ein Kind erwarten?«
    Berthe Decharme verbarg ihr Gesicht. Es war peinlich. Ducrau wusste es, aber er machte es absichtlich. Der Fahrer ging über den Hof Richtung Freitreppe, und der Reeder öffnete das Fenster, um ihn zu rufen.
    »Was ist los?«
    »Sie haben mir doch gesagt …«
    »Na und?«
    Der Fahrer deutete hilflos auf einen Burschen, der sich auf der andern Seite des Gitters ins Gras gesetzt hatte und ein Stück Brot aus der Tasche hervorkramte.
    »Dummkopf!«
    Er schloss das Fenster wieder. Draußen auf der Terrasse deckte das Dienstmädchen, das eine weiße Schürze umgebunden hatte, den im Schatten eines roten Sonnenschirms stehenden Tisch.
    »Weißt du überhaupt, was es zu essen gibt?«
    Die Tochter nutzte die Gelegenheit, um aus dem Zimmer zu gehen, während Decharme vorgab, die Klavierpartituren zu
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