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Magna Mater - Roman

Magna Mater - Roman

Titel: Magna Mater - Roman
Autoren: C. Bertelsmann
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beschattet von Steineichen, Kastanien und weit ausladenden Platanen. Dazwischen wuchern Weißdorn und wilder Rosmarin, Baldrian und Oleander und viel Einsamkeit.
    »Warum wohnst du so weit weg von den anderen?«, wollte ich wissen.
    »Wir Ordensfrauen wohnen alle für uns alleine. Wir brauchen die Abgeschiedenheit wie die Blühenden ihre Gemeinsamkeit.«
    Mater Metulas Haus liegt am oberen Rand eines Steilufers. Die Luft ist erfüllt vom Schlagen der Wellen gegen die felsige Wand und von den dünnen, schrillen Schreien der Möwen.
    Nie werde ich den Augenblick vergessen, in dem Mater Metula ihr Gesicht entblößte. Gleich nach unserer Ankunft in ihrem Haus schlug sie den Schleier zurück, und ich musste an mich halten, um nicht laut aufzuschreien. Ich blickte in eine Fratze voller Furchen und Falten und mit Tränensäcken unter den Augen. So also sah das Alter aus. Ich begriff, warum die Reifen Schleier tragen. Sie verhüllen sich, um uns Kindergesichtige nicht in Angst und Schrecken zu versetzen. Aber wieso »uns Kindergesichtige«? Ich gehörte nicht mehr dazu.
    Ich war eine Morituri, eine Opferbereite, und würde eines Tages so aussehen wie diese Greisin, die mich in ihr Haus geholt hatte, damit ich so würde wie sie. Zum ersten Mal wurde mir bewusst, dass ich kein Vorrecht genoss, sondern einen scheußlich schweren Weg zu gehen hatte.
    Man sagt, die Gewohnheit überwindet alles, sogar den Tod. Und so gewöhnte ich mich schon bald an das Gesicht, das mich bei seinem ersten Anblick so erschreckt hatte. Ja, ich fand es sogar liebenswert. Mater Metula sah gütig aus und hatte einen sanften, traurigen Blick, der in seltsamem Gegensatz zu ihren Lachfalten stand. Ich beschloss, sie »Mam« zu nennen, was nicht so distanziert klang wie »Mater Metula«, und sie hatte nichts dagegen.
    Wie die Ordensregel es verlangte, schliefen wir in einem Bett. Es war ein breites Bett, aber ich hätte nichts dagegen gehabt, wenn es schmaler gewesen wäre, denn von Kindheit an habe ich mein Bett mit anderen geteilt. Alleinsein macht Angst, vor allem in der Nacht. In dieser Hinsicht sind wir wie die Schafe. Als kleines Mädchen habe ich erlebt, wie ein Schafstall in Flammen stand. Die Tiere drängten sich ängstlich blökend aneinander und wollten den Stall nicht verlassen. Die Menschen trugen sie auf ihren Armen ins Freie, aber die geretteten Tiere rannten immer wieder Schutz suchend zur Herde zurück. Sie verbrannten lieber, als allein zu sein. Auch die Blühenden fürchten sich vor dem Alleinsein. Die Reifen müssen es mühsam erlernen.
    Die meisten Ordensfrauen sind schweigsame Geschöpfe. Ohne viel Worte zu verlieren, erledigen sie ihre Aufgaben. Ganz anders Mam. Sie war eine erstaunlich gute Erzählerin.
    In dem Apfelbaum vor unserem Fenster hatte sich ein Amselpaar sein Nest gebaut und vier Eier hineingelegt, die sich schon bald in winzig kleine Lebewesen verwandelten.
    Nur auf Armeslänge von ihnen getrennt, hockten wir hinter der Gardine, um die hilflosen Nackedeis zu beobachten. Sie schienen unersättlich zu sein, rissen ständig ihre viel zu großen Schnäbel auf und schrien nach Futter, als müssten sie hungers sterben.
    »Schau nur, wie liebevoll die Eltern für ihre Kinder sorgen«, flüsterte ich, als die Mutter zum unzähligsten Male mit einem zappelnden Wurm auf dem Nestrand landete. »Ob die Armen wohl noch Zeit finden, ihren eigenen Hunger zu stillen?«
    »Die werden schon nicht verhungern«, meinte Mam. »Sie sind ja zu zweit, und die ganze Anstrengung dauert nicht länger als ein paar Tage, dann sind die Jungen flügge. Bei den meisten Geschöpfen dauert die Aufzucht Monate oder sogar Jahre. Es ist naturgewollt, dass die Alten die Jungen versorgen, und nicht etwa die Jungen die Alten.«
    »Die Jungen die Alten«, rief ich lachend. »Wie kann das sein?«
    Die Vorstellung, dass die Alten mit aufgerissenen Schnäbeln im Nest hockten und von ihren Jungen gefüttert wurden, erschien mir allzu blödsinnig.
    »Du meinst, das gibt es nicht«, sagte Mam. Sie goss unsere Tassen voll Tee, und dann erzählte sie von den Alten, die von den Jungen gefüttert wurden.
    »Jahrtausendelang sind die jungen Männer in den Krieg gezogen, bereit, ihr Leben dem Vaterland zu opfern. Die meisten taten es freiwillig und freudig, denn der Heldentod war eine ruhmvolle Auszeichnung. Nicht jeder durfte mitmarschieren, wenn das Vaterland zu den Waffen rief. Nur die Tapfersten fanden den Tod in der Schlacht, denn wer eine Tragödie überlebt, ist
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