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Magermilch

Magermilch

Titel: Magermilch
Autoren: Jutta Mehler
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begann sie, sich über den Steig zurückzutasten. Auf dem Hintern schlitterte sie das Wändchen zum Pfad hinunter, tappte durch die Büsche auf den Schotterplatz hinaus, wo ihr Wagen stand. Sie öffnete die Beifahrertür, beugte sich hinein und klappte das Handschuhfach auf.
    Nachdem jener Irre, der vor zwei Jahren im bayrischen Nationalpark die junge Annabel umgebracht hatte, Fanni während der Ermittlungen in einer abgelegenen Kapelle eingeschlossen hatte, um sie einzuschüchtern, hatte sie sich geschworen, ihr Handy nie mehr zu Hause in der Kommodenschublade liegen zu lassen. Seither hatte sie es dabei. Sehr selten allerdings steckte das Mobiltelefon in ihrer Hosentasche, meist lag es im Wagen, manchmal befand es sich in ihrem Rucksack. Eingeschaltet war es nie.
    Fanni gab den PIN-Code 3575 ein – leicht zu merken, weil aus den Zahlen des Geburtsdatums ihrer Zwillinge Leni und Leo bestehend – und wartete auf das »OK«, das prompt kam. Doch statt nun »112« einzutippen, klickte sie auf eine der gespeicherten Telefonnummern.
    Sprudel meldete sich nach dem dritten Läuten.
    Fanni sagte drei kurze Sätze, und Sprudel antwortete: »Bin schon unterwegs.«
    Von seinem Haus in Birkenweiler bis nach Deggendorf-Deggenau braucht er eine knappe Viertelstunde, rechnete Fanni. Sie setzte sich ins Auto.
    Sprudel war vor zwei Tagen am Münchner Flughafen angekommen und von dort in seinem Wagen nach Birkenweiler gefahren. Seit er das Saller-Anwesen geerbt hatte, verbrachte er nur noch knapp die Hälfte des Jahres in seiner Wahlheimat Levanto an der italienischen Riviera. Regelmäßig kam er für ein, zwei Monate nach Birkenweiler, das nur vier Kilometer von Fannis Wohnort Erlenweiler entfernt lag, und für seine Aufenthalte hatte er sich ein »Bayerwaldauto« angeschafft. Am Abreisetag, in sechs Wochen genau, würde er mit diesem blauen Peugeot wieder zum Münchner Flughafen fahren und ihn bis zur nächsten Ankunft bei einem Bauern in der Nähe unterstellen.
    Für die Zeit dazwischen hatten Fanni und Sprudel eine ganze Menge Pläne. Sie wollten ausgedehnte Wanderungen im Bayerischen Wald unternehmen, den beide so liebten. Beschauliche Spaziergänge am Donaudeich standen auf dem Programm und ein Ausflug nach Krumau in Tschechien. Außerdem erhofften sie sich ein Hans-Rot-freies Wochenende, das ihnen eine Bergtour in Tirol ermöglichen sollte. Vor allem aber wollten Fanni und Sprudel viele gemeinsame Nachmittage in dem Hütterl verbringen, das Fanni so gemütlich eingerichtet hatte und das mitten in ihrem eigenen Wäldchen stand.
    Als Sprudel das erste Mal für längere Zeit sein Anwesen bewohnt und Fanni ihn mehrmals dort besucht hatte, dachte sie, dass es nun nicht mehr lange dauern würde, bis ihr Mann hinter ihre enge Freundschaft mit Sprudel käme. Sprudel und sie waren in der Gemeinde Birkdorf (zu der auch Erlenweiler, Birkenweiler und noch ein paar andere Weiler zählten) über Wochen Tagesgespräch gewesen; genauer gesagt so lang, bis sich zum allerletzten Einödhof das Gerücht herumgesprochen hatte, dass Fanni Rot und der pensionierte Kriminalbeamte, mit dem zusammen sie schon drei Mordfälle aufgeklärt hatte, ein Paar waren. Ein Paar im landläufigen Sinn.
    »Setzt ihm Hörner auf, dem Hans«, sagten die Birkdorfer seitdem von Zeit zu Zeit, was definitiv eine falsche Auslegung des Geschehens war.
    Sprudel und Fanni waren Freunde, Vertraute, Gefährten. Liiert waren sie nicht, denn Fanni bestand auf klaren Verhältnissen. Erst nach einer Trennung von Hans Rot wollte sie über mehr mit Sprudel nachdenken. Würde es je dazu kommen?
    Bisher hatte Fanni auf Zeit gespielt, weil sie Angst gehabt hatte, dass ein Beziehungsalltag die wohltuende Kameradschaft mit Sprudel zerstören könnte. Recht weit wird sich die Entscheidung allerdings nicht mehr hinausschieben lassen, hatte sich Fanni gesagt, als sie ihre westseitige Nachbarin Frau Itschko, die sämtliche ihrer Telefonate auf einer Gartenbank neben Fannis Thujenhecke führte, die Neuigkeit zum dritten Mal erzählen hörte. Halb Niederbayern musste inzwischen bereits über sie und Sprudel im Bilde sein. Es war schlechterdings unmöglich, dass Hans Rot nichts zu Ohren gekommen war.
    Aber Hans Rot hatte Fanni gegenüber kein Sterbenswörtchen verlauten lassen. Dafür hatte Fanni nur eine einzige Erklärung gefunden: Ihr Mann fürchtete Konsequenzen.
    Wenn er stillhielt, Fanni tun ließ, was ihr beliebte, würde alles beim Alten bleiben. Hans konnte weiterhin seiner
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