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Magermilch

Magermilch

Titel: Magermilch
Autoren: Jutta Mehler
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heißt Willi Stolzer.«
    »Verwandt? Verschwägert?«
    Fanni schüttelte den Kopf. »Ein Freund aus früheren Zeiten.«
    Frankl hatte sein Notizbuch gezückt und vermerkte den Namen, den Fanni genannt hatte. Plötzlich blickte er auf und fixierte sie. »Stolzer! Sakrament! Etwa einer der Brüder, denen die Holzhandlung an der Straße nach Stephansposching gehört?« Nachdenklich fügte er hinzu: »Stolzer und Stolzer.«
    »Willi und Toni«, ergänzte Fanni.
    Mit einem Knall klappte Frankl das Notizbuch zu. »Sie fahren jetzt Ihre Autos hier weg und«, er sah auf seine Armbanduhr, »finden sich in einer Stunde bei der Polizeiinspektion zur Vernehmung ein.« Damit ging er davon.
    Fanni und Sprudel standen sich eine Weile stumm gegenüber. Endlich straffte sich Sprudel. »Wir sollten die Autos beim Donauhotel abstellen. Von da aus ist es nicht weit zur Polizeiinspektion.«
    Fanni stimmte ihm zu.
    Sprudel stieg in seinen Wagen und startete. Er musste als Erster wegfahren, um Fanni den Weg freizumachen.
    Während sie wartete, bis er das Auto gewendet hatte, blickte sie noch mal zum Quergang hoch. Einer der Männer, die Fanni für Kriminaltechniker hielt, befand sich im Quergang und barg soeben Willi Stolzers Klettersteigset.
    Ohne Sicherung turnt der Kerl da oben rum!
    Am Beginn des Quergangs konnte Fanni Kommissar Frankl erkennen. Auch er hatte sich, ohne irgendwie gesichert zu sein, bis dort hinaufgewagt.
    »Der Sakra traut sich was«, hörte Fanni jemanden neben sich sagen.
    Einer der Männer war zurückgekommen und nahm einen Aluminiumkoffer aus einem der Fahrzeuge.
    »Sakra?«
    »Frankl«, erklärte der Beamte und lächelte schief. »Die meisten von uns nennen ihn Sakra, weil … Haben Sie ihn noch nicht fluchen hören?«
    »Doch«, antwortete Fanni. »Und ja, er traut sich was. Aber der andere, der im Quergang, der spielt eindeutig mit seinem Leben.«
    Der Beamte winkte ab. »Der Kollege dort oben ist gelernter Dachdecker. Er hatte vor ein paar Jahren einen Unfall – Milzriss –, deswegen musste er umschulen. Aber Talent verlernt man nicht. Wissen Sie, was er gesagt hat? ›Den Pipifax-Anstieg durch die paar Felsen und die paar Handgriffe in dem läppischen Quergang könnt ich sogar mit Bein- und Armprothese machen. Sicherung brauch ich da gewiss keine.‹«
    Fanni beobachtete den ehemaligen Dachdecker, wie er die beiden Karabiner, an denen Willis Klettersteigset hing, und den dritten, den mit der einzelnen Bandschlinge, in seinen Gürtel hakte und sich dann am Drahtseil zurück zum Beginn des Quergangs hangelte.
    »Trotzdem«, murmelte sie. »Sak… Kommissar Frankl hätte das nicht zulassen dürfen.«
    Der Beamte, mit dem sie gesprochen hatte, konnte sie nicht mehr hören. Er war bereits im Zustieg verschwunden.
    Fanni startete ihren Wagen und steuerte zur Hauptstraße. Dort blinkte sie rechts, schlug die Richtung nach Deggendorf ein. Kurz vor der Kreuzung an der Friedenseiche bog sie zum Donauhotel ab.
    »Möchtest du im Hotelrestaurant was trinken oder lieber ein bisschen spazieren gehen?«, fragte Sprudel, nachdem Fanni neben seinem Bayerwaldauto geparkt hatte.
    Eigentlich hätte er nicht fragen müssen. Entsetzen, Schock und Angst bekämpfte Fanni am wirksamsten mit langen Märschen.
    »Laufen«, bat sie.
    Sprudel drückte sie kurz an sich. »Sehr weit dürfen wir uns aber nicht entfernen. Ein Stündchen ist schnell um.« Er hielt kurz inne. »Wir könnten über die Kreuzung zur Himmelfahrtskirche hinübergehen. Hinter der Kirche gibt es eine Stiege zum Geiersberg.«
    Berg, dachte Fanni, ein mühsamer Anstieg ist genau das Richtige, um auf den Boden der Tatsachen zu gelangen.
    Sie hatte schon oft vom Geiersberg reden hören, wusste auch, dass von der Stadtpfarrkirche Mariä Himmelfahrt aus eine Treppe hinaufführte und dass sich am Fuß des jenseitigen Abhangs die Geiersbergkirche befand. Sie war bisher jedoch nie dazu gekommen, sich diesen Teil Deggendorfs anzusehen.

    Die Steinstufen begannen oberhalb des Kirchenportals inmitten von Gräbern und endeten, bevor Fannis Pulsfrequenz Gelegenheit bekam, sich zu beschleunigen. Als sie von der letzten Stufe aus auf die Stadt hinunterschaute, bemerkte sie, dass dennoch etliches an Höhe gewonnen war.
    Der Anblick zeigte sich imponierend. Wuchtig erhoben sich die Pfeiler der Donaubrücke aus dem Wasser, elegant spannte sich der Überbau. Breite Straßenbänder unterteilten die Landschaft in Segmente. Im Westen glänzten die Dächer über den Werkshallen der
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