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Magdalenas Garten

Titel: Magdalenas Garten
Autoren: Stefanie Gerstenberger
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Rehkitzaugen prüfend an.
    Â»Geht schon«, sagte Magdalena in der Hoffnung, sie würde sie loslassen. Ihre blonden Haare hatte Nannini zu zwei kurzen Zöpfen geflochten, einzelne Strähnen sprossen wild daraus hervor und verdeckten fast ihre winzigen Ohren. Sie sah aus wie eine zerzauselte Barbiepuppe, war aber ungeschminkt und ungefähr so alt wie sie.
    Â»Das ist alles nicht so schlimm, wie du denkst!« Das Mädchen namens Nannini lächelte breit. Woher willst du wissen,
was ich denke?, dachte Magdalena und bemerkte eine Lücke zwischen Nanninis Vorderzähnen, die sie noch mädchenhafter erscheinen ließ. Männer fanden diese Mischung aus Rehaugenblick und frecher Zahnlücke wahrscheinlich unwiderstehlich.
    Â»Wer kann die Frau Kirsch zwingen, so etwas anzuziehen?« Nannini kicherte leise. Magdalena schaute suchend nach dem Namensschild, das tatsächlich immer noch an ihrer Weste hing.»Was ist das für eine Uniform?«
    Sie zuckte mit den Schultern und schaute auf den Boden. Auch ohne zerrissene Uniform hätte sie sich neben dieser Gianna Nannini nicht gerade wunderschön gefühlt. Wie sie schon dastand, wie eine Ballerina, die Füße bildeten ein geöffnetes V, ihre ganze Figur war schmal und sehnig, ihr Busen dagegen wirkte angeklebt wie zwei hervorspringende Tennisballhälften, zu auffällig für eine Tänzerin.
    Â»Ich bin Nina.«
    Â»Nina Nannini«, murmelte Magdalena, ihre Zunge stieß dabei schwerfällig an den Gaumen.
    Â»Nina reicht, Matteo nennt mich manchmal Nannini, wenn er mich dringend benötigt oder nerven will. Wir fahren euch ins Spital, es dauert zu lange, bis die Ambulanz da oben ist.« Ihr melodischer Akzent kam Magdalena bekannt vor. Auf ihrer Reise nach Tirol, nach Bozen, in die Stadt der Frühlingsblumen, vier Tage Halbpension, Tagesausflug in die Dolomiten inklusive, hatte sie ihn gehört. Dort oben sprachen sie neben Italienisch und Ladinisch auch ein seltsam singendes Deutsch wie Nina, die sie jetzt behutsam einige Schritte führte und an der Mauer abstellte, als sei sie eine kostbare Vase.
    Â»Hock dich erst mal her.« Sie setzte sich neben sie und strich ihr wie einem Kind die Strähnen aus der Stirn. Magdalena starrte auf ihre Hände, die zum zweiten Mal an diesem Tag zitterten. Ihr freiliegender Oberschenkel war von Staub bedeckt und
von tiefen Schrammen durchzogen, von denen sich die letzten gerade punktförmig mit Blut füllten.
    Â»Matteo!« Nina rief ihm etwas auf Italienisch zu, in dem das Wort für »Autoschlüssel« vorkam. Der Mann mit dem unrasierten, jetzt nicht mehr ganz so roten Gesicht klopfte dem Rollerfahrer leicht auf den Rücken, wandte sich dann ab und überquerte die Straße. Dabei ließ er seine breiten Schultern aufrecht wie ein Boxer von rechts nach links schaukeln. Welche Gewichtsklasse? Opa Rudolf würde das sofort erkennen. Bei der Größe wahrscheinlich Halbschwergewicht, oder war er vielleicht Ringer? Ein Ringer, der nicht in bester Form war und das auch wusste. Er zupfte sein etwas zu kurzes schwarzes T-Shirt über die Hüften, als ob er ihre Blicke im Nacken spürte. Erst jetzt bemerkte sie die Treppe gegenüber der Parkbucht, die sich durch terrassenförmig angelegte Rabatten oben zwischen den hohen Kiefern verlor. »POLO« las sie in verblassten Buchstaben auf der schmutzig gelben Mauer. Der Mann sprang über die Absperrkette, die sich über die gesamte Breite der Treppe spannte, und verschwand, zwei Stufen auf einmal nehmend, zwischen Baumstämmen, Büschen und fleischigen Agaven. Meine Güte, wie soll ich das Frau Petri von der Geschäftsleitung erklären? Wie soll ich das Opa Rudolf erklären? Ich bin in einen Unfall mit einem Rollerfahrer verwickelt, den ich überhaupt nicht kenne, mitten auf einer bewaldeten Bergstraße vor einem Nachtclub zwischen Procchio und Portoferraio. Ein Boxer mit dem klangvollen Namen Matteo springt gerade vor mir eine Treppe hinauf, während seine Freundin Nina Nannini mir unablässig über den Kopf streichelt.
    Der Rollerfahrer hörte endlich mit dem Würgen auf. Es war still, kein Auto fuhr mehr vorbei. Am Fuße der Mauer, direkt neben Magdalenas noch vorhandenem Turnschuh, blühte eine einzelne Mohnblume friedlich vor sich hin. Sie meinte plötzlich,
noch nie etwas Tröstlicheres gesehen zu haben als diese perfekten, roten Blütenblätter. Eine
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