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Magdalenas Garten

Titel: Magdalenas Garten
Autoren: Stefanie Gerstenberger
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lachte sie noch, falls einer der Gäste sie aus dem Rückfenster beobachten sollte. Dann biss sie die Zähne zusammen und spurtete richtig los. Damals, als Opa Rudolf sie auf der Aschenbahn der Schule trainierte, lief sie die fünfzig Meter in 8,7 Sekunden, eine sehr gute Zeit für ein zehnjähriges Mädchen, und auch heute, mit dreißig,
war sie noch ziemlich schnell. Doch der Abstand war zu groß, der Bus bog ungerührt nach rechts auf die Straße ein und verschwand hinter einer Hecke.
    Was sollte das, warum warteten die nicht auf sie?
    War Stefan etwa ohne sie losgefahren, nur weil sie ein paar Minuten zu spät dran war? Er gehörte eigentlich nicht zu den Menschen, die Minuten aufrechneten und schnell böse wurden, doch jetzt, als sie ihn fast eingeholt hatte, gab er Gas. Die blauen Buchstaben auf der weißen Rückfront »Treva-Touristik - Ihre Luxusreise im Bistro-Bus!« entfernten sich hinter einer schwarzen Abgaswolke den steilen Berg hinauf. Magdalena wurde langsamer und kam auf dem Asphalt schließlich zum Stehen. »Das glaube ich doch jetzt nicht!«, rief sie keuchend, die Hände auf die Knie gestützt.
    Langsam ging sie die Straße wieder zurück. In der Ferne, weiter oben auf dem Berg, hörte sie den Bus aufröhren, Stefan hatte einen Gang runtergeschaltet, um die Steigung besser zu bewältigen. Vor der Bar La Pinta stand ein schmächtiger Junge neben seinem Roller. Er war höchstens achtzehn und starrte sie an, offenbar hatte er die ganze Szene beobachtet. Wehe, du lachst jetzt. Sie sah ihm direkt in die Augen. Er hielt ihrem Blick stand. Sie zuckte mit den Schultern, was konnte er schon für die Zufälle in ihrem Leben, für die halben Sachen, die halben Wahrheiten, hinter denen sie herrannte. Er zuckte in derselben Weise zurück, sie grinsten beide. Magdalena klappte ihr Handy auf, um Stefan anzurufen, doch das Display blieb schwarz, sie hatte es heute Morgen auf der Hinfahrt im Bus laden wollen. Schwer ließ sie sich auf einen der Stühle vor der Bar fallen. Wenn etwas schiefgehen soll, geht es richtig schief, sagte Opa Rudi manchmal. Es hörte sich immer an, als freue er sich darüber. Nein, Rudi, das ist ein Wink des Schicksals, ich habe den Bus verpassen müssen, um ihn zu finden!

    Eigentlich sollte sie in diesem Moment mit einem Korb voller Wasserflaschen und Apfelschorle ins Oberdeck des Busses steigen und sie den Gästen anbieten. Aber Resi war ja da, Resi konnte schon alles, sie würde für sie einspringen. Sie waren auf dem Weg nach Portoferraio, Besichtigung der Festung und Napoleons Villa. Susanna, die deutsche Reiseleitung für Elba, hatte den Tagesablauf für heute mehrmals wiederholt. Demnach hatte sie gut drei Stunden bis zur Abfahrt der Fähre. Die Zeit lief, sie musste sofort beginnen, und zwar im Mezza Fortuna . Sie erhob sich und ging hinüber.
    Â 
    Das Lokal hatte sich inzwischen geleert. Damals waren die Tischdecken rot-weiß kariert gewesen, zeigte ein Zipfel an der unteren linken Ecke des Fotos, heute waren die Tischtücher weiß und mit Brotkrümeln übersät, Gläser mit fettigen Fingerabdrücken und kleinen Rotweinpfützen, Teller mit Essensresten, leere Karaffen. Vor dem Wandbild trippelte Magdalena von einem Fuß auf den anderen, wieder breitete sich die Angst in ihrem Inneren aus und schnürte ihr die Kehle zu, wieder konnte sie es nicht fassen, dass da tatsächlich das halbe D und das E in seiner Beule an die Wand gepinselt waren sowie ein Stück der Umrahmung und ein schlecht gemalter Nagel. Details, nach denen sie schon so lange suchte.
    Â»Lei …?« , setzte sie an, als der Wirt, die Hände an seiner nicht sehr sauberen Schürze abwischend, auf sie zukam. Sie musste ihn siezen, doch wie dann weiter? Ihr Italienisch war auch nach dem dritten Volkshochschulkurs noch nicht besonders flüssig.
    Wie frage ich ihn, ob er das ristorante schon 1979 geführt hat? Sie verhaspelte sich in zwei weiteren »Lei’s« und der Jahreszahl, die sie doch eigentlich auswendig kannte. Verdammt, noch gestern habe ich für eine ganze Reisegruppe fünfzehn passende
Steckdosenadapter in dem kleinen Elektrogeschäft in Siena gekauft und damit ein paar Menschen sehr glücklich gemacht, und jetzt, wenn es um mich selbst geht, fällt mir nicht das richtige Wort ein. Endlich bekam sie den Satz zusammen.
    Â»Ma certo!« Der Wirt bestätigte ihr,
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