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Mafia Princess

Mafia Princess

Titel: Mafia Princess
Autoren: Marisa Merico
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zusammenhielt. Ständig nahm sie Streuner auf, Kinder wie Hunde. Sie war eine liebenswerte, wahrhaft freigebige Frau, aber sie konnte auch unbarmherzig sein. Wenn einer ihrer Familie etwas Schlimmes antat oder es allein an Respekt fehlen ließ, wurde er brutal zusammengeschlagen. Einfach so. Das war die Welt, in der sie von jeher gelebt hatte.
    Als ihr Sohn Emilio vier Jahre alt war, nahm sein Großvater ihn mit auf eine Schlachtung. Vor Emilios Augen wurde dem Schwein die Kehle durchgeschnitten, und das Blut tropfte in einen Eimer. Nichts durfte verloren gehen, denn sie wollten Blutwürste machen. Emilio musste das Blut umrühren. Das sollte ihn abhärten. So wurden alle männlichen Nachkommen erzogen.
    Im Jahr 1963 hatte Emilio schon sechs Geschwister. Da beschloss Großmutter, in Mailand müsse das Leben besser sein. Es war wie Auswandern, wie eine Übersiedlung nach Australien. Mailand war weit weg und für sie alle völlig fremd. Doch Großmutter packte ihre Koffer und ihre Kinder und zog nach Norden. Sie hatte etwas Geld gespart, und sie verfügte über List und wilde Entschlossenheit. Das Geld reichte für die Wohnung an der Piazza Prealpi, und dort startete La Signora ihre Verbrecherorganisation (die von Anfang an diese Bezeichnung verdiente).
    Sie stellte Kontakt zur Unterwelt von Mailand her und verstärkte die Verbindungen ins heimatliche Kalabrien. Anfangs kamen von dort Zigaretten und Alkohol, die Währung ihres Unternehmens. Ihre Bande war ein junger wilder Haufen. Im Laufe der Zeit wurden alle Kinder einbezogen: Emilio und seine knallharten Brüder Domenico, Antonio, Franco, Alessandro, Filippo und Guglielmo. Auch seine Schwestern Rita, Mariella, Domenica und Natalina spielten gelegentlich Statistenrollen. Und die »Streuner« waren dankbar, wenn sie kleine Aufgaben erledigen durften.
    Großmutter verfolgte bei allem ein Ziel; nichts geschah zufällig. Sie spricht mit einem deutlichen, schwierigen Dialekt. Er ist sehr schwer zu verstehen, wenn man nicht damit aufgewachsen ist. Und dennoch ist die Bedeutung dessen, was sie sagt, jedem immer gleich klar.
    Die Piazza Prealpi, die bei schwachem Verkehr fünfzehn Minuten von Mailands Stadtzentrum entfernt liegt, war Dreh- und Angelpunkt ihres Imperiums. Der Platz beherbergte viele Marktstände mit flatternden Markisen und abblätternder Farbe, an denen man frische Grundnahrungsmittel für Frühstück, Mittag- und Abendessen kaufen konnte. An kleineren, aber geschäftigen Ständen ohne Abdeckung standen jüngere Männer und verhökerten Zeitungen, Zeitschriften, Alkohol und Zigaretten. Es war ein emsiger Markt für jeden mit Unternehmergeist, man brauchte bloß zuzupacken.
    Sofort begriff Großmutter, wie viel Potenzial im Verkauf billiger Zigaretten und geschmuggelten Alkohols lag. Sie wusste, dass mit Schmuggelware ein immenser Profit zu erzielen war. Jeden Morgen hielt sie in ihrer Küche eine »Vorstandssitzung« ab. Sobald ihre Kinder ein brauchbares Alter erreicht hatten, wurden sie unterrichtet, was sie zu stehlen hatten, wo es zu stehlen war und zu wem sie das Gestohlene bringen mussten. Geh dahin. Hol dies. Tu jenes. Sprich mit dem. Komm zurück. Wenn eines der Kinder ein anderes verpfiff, wurde die Petze geprügelt. Die Regel lautete: Sag nichts, oder die Strafe wird hart sein. Das Gesetz des Schweigens, die omertà , war stärker als Blutsbande. Großmutters oberstes Prinzip lautete: »Du musst den Mund halten.«
    Emilio und die anderen besuchten keine Schule. Großmutter war die Schuldirektorin, Disziplin bestand aus einem Schlag mit einem großen, fleckigen Suppenlöffel aus Holz. Ihr Erziehungsideal war: »Sorg dafür, dass sie Angst vor dir haben. Dann werden sie dich respektieren.«
    Großmutter fürchtete kaum etwas. Gott vielleicht, und die katholische Kirche. Nachmittags beobachtete ich sie oft, wenn sie einen Stuhl auf die Straße stellte. Da saß sie dann ganz still mit dem Rosenkranz in der Hand, und ich bekam eine Gänsehaut, wenn ich sie beten hörte: »Gott, vergib mir, was ich heute getan habe.«
    Dabei ging das Gerücht, dass sie manche Dinge noch vor Gott wusste. Auf jeden Fall zahlte sie ihm einen Anteil. Von der Familie und berufsbedingten Ausgaben abgesehen bekam nur die Kirche Geld von ihr. Tausende gab sie, vielleicht, um ihre Schuld abzutragen. Vielleicht war es auch Bestechung des Allmächtigen – vielleicht wollte sie sich einen Platz im Himmel erkaufen? Sie spendete den Nonnen und Priestern, die in Mailand für die Armen
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