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Mafia Princess

Mafia Princess

Titel: Mafia Princess
Autoren: Marisa Merico
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Sie hatte einfach keine Kraft mehr. Seit gut zwölf Stunden dauerte die Geburt.
    »Na mach schon, du musst pressen!«
    Großmutter hatte kein Verständnis für die Verzögerung. Als sie im Monat zuvor Angela zur Welt gebracht hatte, verlief die Fabrikation wie am Fließband, problemlos wie eh und je. Meine Mum dagegen, dieses dumme englische Mädchen auf dem Küchentisch, hatte einfach keine Ahnung, wie man Babys auf die Welt brachte. Die Familie war den größten Teil der Nacht auf gewesen; alle wanderten herum, gähnten und versuchten wach zu bleiben, aber schon Stunden zuvor hatte der Kaffee seine Wirkung verweigert.
    Jetzt, um acht Uhr morgens, Donnerstag, den 19. Februar 1970, hatten sie genug. Jedenfalls hatte mein Großvater Rosario Di Giovine genug. Er wollte sein Frühstück.
    »Da passiert nichts, da passiert rein gar nichts«, sagte Großmutter.
    Großvater rollte sich die Ärmel hoch: »Na schön, mach schon! Mach schon, Mädchen … Vai! Vai! «
    Er gab Mum einen regelrechten Schlag. Dann noch einen, fester diesmal: »Komm schon – jetzt aber los!«
    Mum presste.
    Ich kam um 8.09 Uhr.
    Großvater ging frühstücken, als sei nichts passiert. Meine Großmutter ging zu einem Schrank an der Wand hinten im Zimmer. Die Hebamme wickelte mich in Baumwolltücher, und Großmutter kam mit einer violetten Kaschmirdecke von Gucci zurück, dem Geschenk eines Geschäftsfreundes. Darin hüllte sie mich ein.
    Das passte. Ich war in die Mafia hineingeboren worden. Ich war die Mafia-Prinzessin.
    Viel Milch hatte meine Mutter nicht, also stillte mich Großmutter einige Male. Ich liebte meine Großmutter. Und ich war auch immer ihr Liebling. Doch die Gucci-Decke war kein gläserner Pantoffel. Meine Kindheit verlief eher wie bei Aschenputtel, und zwar vor Erscheinen des Prinzen.
    Während ich aufwuchs, ging die Familie verbissen ihrem Geschäft nach. Dabei ging es vor allem um Waffen, Drogen, Tod. So war es in der Familie meines Vaters immer gewesen.
    Großmutter war eine waschechte Serraino, geboren in Reggio di Calabria, mitten hinein in einen der berühmt-berüchtigten ’Ndrangheta-Clans, der kalabrischen Variante der Mafia. Wörtlich bedeutet ’Ndrangheta Ehre und Loyalität. Die loyale Haltung zur Familie (’ndrina) liegt ihr im Blut.
    Großmutter kann nicht lesen und schreiben – Dokumente unterzeichnet sie mit einem X –, und sie ist eine der bemerkenswertesten Mafia-Persönlichkeiten der letzten Jahrzehnte, weithin bekannt als La Signora Maria .
    Die Behörden sparen nicht mit Komplimenten. Ich sah juristische Schriftstücke in Italien, die sie als gefährlichste Frau im Land bezeichnen.
    Nach ihr wurde ich benannt – Maria Elena Marisa (Di Giovine) –, doch wurde ich von jeher Marisa genannt. Um Verwechslungen auszuschließen, heißt es. Verwechslungen? Kein guter Witz. La Signora Maria ist einzigartig.
    Der ’Ndrangheta tritt man nicht bei; Mitglied ist man ab der Geburt – oder nie. Großmutters Kinder verinnerlichten von Anfang an die Gesetze einer Mafia-Familie. Die meisten Leute glauben ja, dass in der Mafia nur die Männer das Sagen haben, während das Frauchen die Pastasauce umrührt. So ist es eine halbe Stunde mit dem Schiff entfernt, in Sizilien, der Heimat der Cosa Nostra. Doch in Kalabriens ’Ndrangheta, über einhundertfünfzig Jahre auf dem Fundament der Blutsfamilien aufgebaut, sind die Frauen äußerst aktiv – in der Küche wie in der Kriminalität. In der Omertà – dem Schweigegesetz der Mafia – gibt es sogar eine Schwesternschaft. Man erzählt sich Geschichten über Initiationszeremonien für Frauen, die nicht in die Familie hineingeboren wurden, sondern aufgenommen werden mussten. Kein Wunder, dass Familienfeierlichkeiten wie Hochzeiten, Kommunion, Taufe und Beerdigungen das Herzstück des Lebens und des Sterbens sind. Und meine Großmutter war der Boss, das oberste Gesetz.
    Und sie war die Schwiegermutter von Pat Riley aus Blackpool.
    Meine Mum war eine Wucht – blond, mit einer tollen Figur. Mit ihr hatte man immer viel Spaß. Sie wuchs in einer Vorstadt im Nordwesten Englands auf und wurde dazu erzogen, praktisch und vernünftig zu sein. Doch hatte sie ihren eigenen Kopf. Die beleuchtete Strandpromenade von Blackpool sollte nicht die einzigen strahlenden Lichter in ihrem Leben liefern.
    Patricia Carol Riley gehört zur Generation der Baby-Boomer und kam am 17. Januar 1946 zur Welt, gut ein Jahr, nachdem ihr Vater Jack Riley vom Kriegsdienst beim Sanitärkorps zurückgekehrt
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