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Maeve

Maeve

Titel: Maeve
Autoren: Jo Clayton
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nieder. Die Leute haben vergessen. Es würde keinen Ärger geben.” Er schüttelte seinen Kopf.
    „Du hast nicht einmal daran gedacht.”
    Aleytys atmete tief ein. Er hatte recht. Sie konnte zurückkommen. Nein! Die Ablehnung war unmittelbar und instinktiv.
    „Nein”, sagte sie. „Ich kann nicht bleiben.”
    „Das habe ich auch nicht erwartet. Du bist zu sehr wie deine Mutter.”
    Aleytys schüttelte sich. Sie sprang auf die Füße und begann, vor der Feuerstelle auf und ab zu gehen. „Ich kann mein Baby nicht aufgeben. Was wäre ich für ein Mensch, wenn ich das tun würde?
    Ich liebe ihn. Ich will ihn haben. Ich will nicht gegen dich kämpfen. Mein Gott, das will ich nicht.”
    „Du sagst, du liebst ihn. Wenn du das wirklich tust, wenn du nicht nur an den äußeren Schein denkst, dann tu, was für ihn das beste ist.”
    Sie ließ sich wieder auf den Stuhl fallen, stützte den Kopf auf die Hände. „Ich weiß nicht, was für ihn das beste ist.”
    Vajds Stimme war, als er diesmal sprach, sanfter. „Sharl ist hier von Liebe umgeben. Er hat die Sicherheit, die er braucht, und einen gesicherten Platz im Leben. Wenn er an Körper oder Seele verwundet ist, hat er jemanden unmittelbar zur Verfügung, der ihn tröstet, Freunde. Den Bruder. Einen Vater. Eine Mutter. Wirst du Tag und Nacht bei ihm sein, wie Zavar es ist? Wenn er verletzt ist
    — wärst du da? Oder müßtest du irgendwo anders sein und die Arbeit tun, für die du bezahlt wirst? Wirst du ihn lehren, was es heißt, ein Mann zu sein? Wirst du einen Vater für ihn finden, der meinen Platz einnimmt?”
    „Ich verstehe.” Sie seufzte. „Dir brauche ich diese Fragen nicht zu stellen, oder? Zavar hat meinen Platz bereits eingenommen.”
    Sie schloß die Augen und lehnte sich zurück. „Was ist mit Sharl?
    Wie wird er sich fühlen, wenn seine Mutter einfach weggeht und ihn verläßt, wie meine Mutter es bei mir getan hat?”
    „Die beiden Fälle sind verschieden, Aleytys.” Sie konnte aufkeimenden Triumph fühlen. Sie war geschlagen, und er wußte es. „Der Junge wird nichts fühlen, weil er nie von dir erfahren wird.”
    Aleytys zuckte zusammen und schloß die Lippen, sperrte den Protest ein. Sie wußte, daß es ihrem Sohn hier besser gehen würde, und das untergrub all ihre Entschlossenheit. Sie öffnete die Augen einen Spalt weit und beobachtete Vajd, der still dasaß, wobei seine schönen, geschickten Hände sanft auf seinen Knien ruhten. Er hat noch immer eine Vorliebe für breite Streifen in seinen Abbas, dachte sie, und nutzte dieses triviale Detail, um dem schmerzlichen Entschluß vorübergehend auszuweichen, diesem Entschluß, von dem sie wußte, daß sie ihn treffen mußte.
    Der schwere Avrishum-Stoff mit seinen dunkelblauen und silbernen Streifen leuchtete mit einem geschmeidigen, seidigen Schimmer im Feuerschein.
    „Ich hätte nicht zurückkommen sollen”, sagte sie abrupt. Dann stand sie auf. „Dies ist das zweite Mal, daß du mich hast erwachsen werden lassen, Vajd. Dein erster Versuch gefiel mir besser. Ich war … Ich bin hierhergekommen, hab mich an einen Traum von Liebe und Freunde geklammert, wie ein Kind, das sich an den Ärmel seiner Mutter klammert. Du hast das Messer geschickt angesetzt. Du hast mich endgültig von meinen Wurzeln losgeschnitten, mir meine letzten Illusionen geraubt. Du hast auf der ganzen Linie gewonnen. Ich kann Sharl nicht von dir wegholen.
    Und ich komme nicht zurück, um dich noch einmal zu belästigen.” Sie trat dicht an ihn heran, streckte eine Hand aus, um sein Gesicht zu berühren, rannte dann stolpernd aus dem Zimmer, durch die noch leere Halle und aus dem Hintereingang hinaus.
    Auf dem Flußpfad stürzte sie, fiel auf die Knie, die Arme fest um den Leib geschlungen. Sie zitterte so stark, daß sie das Gleichgewicht verlor und in den Sand stürzte. Sie wollte, daß die Tränen etwas von ihrer Qual freisetzten, aber die Augen waren hartnäkkig trocken. Mehrere Minuten lang lag sie krampfartig zuckend am Boden, dann zog sie sich wieder auf die Knie hoch. Sie kroch zum Flußufer hinunter und spritzte sich das eisige Wasser ins Gesicht. Dann lag sie auf dem Bauch und trank, bis der reine, lebendige Geschmack des Wassers sie aus dem Nebel heraus zu der schmerzlichen, aber nachdrücklichen Erkenntnis brachte, daß sie am Leben war und vorhatte, am Leben zu bleiben.
    Sie stand auf, wischte Blätter und Erdreich ab. Dann eilte sie den Flußpfad entlang, zurück zu der Kreuzung an der Einmündung des
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