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Maeve

Maeve

Titel: Maeve
Autoren: Jo Clayton
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Sharl zu dir zu bringen. Was sonst hätte ich tun können?”
    Vajds Hand bewegte sich unruhig über das Holz der Barbat. Als er sprach, war die Schärfe aus seiner Stimme verschwunden. „Er klang gequält.”
    Aleytys seufzte und lehnte den Kopf gegen den Horan zurück, genoß den Duft, wenn auch nur am Rande ihres Bewußtseins, da die emotionsvernebelte Atmosphäre den Großteil ihrer Aufmerksamkeit beherrschte. „Miks Stavver ist ein Dieb, Vajd. Ein Einzelgänger. Ein Mann, der es gewohnt war, sich entsprechend seiner eigenen Launen zu bewegen. Selbst als wir zusammen waren, war er die ganze Zeit über halb bereit, mich fallenzulassen. Es muß die Hölle für ihn gewesen sein, auf einen Weg ohne Abbiegungen getrieben worden zu sein. Ich nehme an, er hat den Zwang mehr als einmal niedergekämpft.” Sie berührte seine Hand. Sanft zog er sie weg. „Ich habe mich verändert, nicht wahr?”
    „Das Mädchen, das ich gekannt habe, hätte das, was du getan hast, nicht tun können.”
    „Das Mädchen, das du gekannt hast… Ich vermute allmählich, daß es nie existiert hat.” Sie spürte einen reißenden Schmerz. Ihr Gefühl ihm gegenüber hatte sich nicht geändert. Sie wollte die weichen Locken streicheln, die um sein müdes, gefurchtes Licht flatterten. Sie wollte seinen Körper an dem ihren fühlen, wollte wieder das warme, explodierende Entzücken jener Nächte im Wadi Raqsidan erleben. In diesem Augenblick wußte sie, daß Vajd der Grund für ihre Rückkehr gewesen war. Ihr Verlangen nach ihm ertränkte ihr Verlangen, ihren Sohn zu finden. Und gleichzeitig wußte sie, wie unsinnig es war. Mit ihrer bloßnervigen Empfindlichkeit für das, was er fühlte, wußte sie unweigerlich, daß die Leidenschaft, die er einst für sie empfunden hatte, zu starker Abneigung verschlissen war. Er hatte nicht nur damit aufgehört, sie zu lieben; er mochte sie nicht einmal mehr. Dieses Ding in ihr, das zupackte und Männer in ihren Dienst bannte, hatte sie erneut hintergangen. Vajd war nur das erste ihrer Opfer gewesen; die Liebe, an die sie sich erinnerte, war eine Illusion.
    Sie konnte mit dem Schmerz dieser plötzlichen Erkenntnis nicht fertigwerden.
    Mehrere Minuten lang sprach sie nichts, da sie ihrer Stimme nicht vertraute, und nicht wollte, daß er ihre Qual hörte. Alles, was ihr geblieben war, war ihr Stolz, und sie wußte, daß sie sich nicht leisten konnte, den zu verlieren — Stolz, um den Rücken zu stärken und die Stimme zu festigen. „Wie geht es Zavar?”
    „Gut. Sie ist im Tanha. Wir erwarten gegen Ende des Monats ein zweites Kind.”
    „Oh.” Sie stand auf. „Ich möchte meinen Sohn sehen.”
    „Es ist dein gutes Recht.” Er schob den Ledergurt der Barbat über seine Schulter, griff nach dem Stock, der am Baum lehnte und erhob sich steif. Er tappte den Pfad entlang zur Rückseite des Kardi Mari’fat, wo er und Zavar wohnten. Er hielt ihr die Tür auf, huschte dann an ihr vorbei, um Tapp-tapp die Treppe zur ersten Etage hinaufzusteigen. Aleytys fröstelte. Es war, als würde sie in ihr früheres Leben zurücktreten. Die Nachtkerzen warfen dämonische Schatten auf die Wände des schwach beleuchteten Flurs.
    Er stieß eine Kinderzimmertür auf und trat beiseite.
    Aleytys drängte sich an ihm vorbei, auf Zehenspitzen, zitternd, angespannt. Sie sah zwei kleine Gestalten in den Betten, aber es war zu dunkel, um mehr sehen zu können. Auf dem von einer tiefen Fensterlaibung gebildeten Sims fand sie einen Kerzenstummel in einem einfachen Zinn-Kerzenhalter. Sie nahm ihn an sich, entzündete die Nachtkerze, ging dann wieder hinein.
    Der Junge in dem linken Bett hatte Vajds zerzauste dunkle Lokken und Zavars verträumten Gesichtsausdruck. Er murmelte, als sie seine Schulter berührte, erwachte jedoch nicht.
    Sie wandte sich dem anderen Bettchen zu. Im Kerzenlicht leuchtete das Haar des Jungen wie Feuer. „Mein Sohn”, murmelte sie. „Drei Standardjahre … Ein Dreifachjahr, seit ich dich das letzte Mal gesehen hab …” Mein Gott, dachte sie, ich kann nicht…
    Wenn ich ihn mit einem Haufen anderer Jungen herumlaufen sehen würde … ich würde ihn nicht einmal erkennen … Bis auf das Haar… Sie beugte sich tiefer.
    Er runzelte die Stirn, eine kleine Faust fest gegen seinen Mund gepreßt. Er schlief mit dramatischer Intensität. Sie streckte die Hand aus, stoppte sie dann aber, bevor sie ihn berührte. Eine Haaresbreite über seiner Haut strich sie ihre Hand liebkosend über seinen kleinen Körper. Sie
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