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Märchenmord

Märchenmord

Titel: Märchenmord
Autoren: Krystyna Kuhn
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dass der Kühlschrank reich gefüllt war mit französischem Käse und Oliven. Daneben ein knusprig gebratenes Hühnchen auf einem Teller. Auf dem Tisch lagen Baguettestangen, als hätte ihre Mutter sie nur abgelegt, um dann so schnell wie möglich das Haus zu verlassen. Sie hatte offenbar tatsächlich vorgehabt, richtig zu kochen. Und dann? Was war dazwischengekommen? Dieser Philippe? Oh Gott, dieser Typ als Ersatzvater, dagegen war eine böse Stiefmutter nichts. Die konnte man wenigstens hassen, aber so einer,… wenn der einem im Bad begegnete, war vorprogrammiert, dass sie sich vor seinen Augen übergeben musste, so schleimig, wie der war. Obwohl ihr Magen knurrte angesichts der Leckerbissen, nahm Gina sich Zeit, alles ordentlich auf einem Tablett zu arrangieren. Sie hatte Ferien. Wenn sie schon nicht in einem Hotel Urlaub machte, sondern in dieser Gruft von Ludwig XVI, dann musste sie selbst für Luxus sorgen. Sie würde anschließend ein Bad nehmen und all diese Mittelchen ausprobieren, die Nikolaj nicht mehr in seine Kosmetiktasche hatte packen können. Es hatte Vorteile, wenn der Gastgeber schwul war. Shampoo, Deo, Gesichtsmaske und Körpermilch waren im Überfluss vorhanden. Draußen verebbte langsam der Lärm der Rue Daguerre, als ob die Dunkelheit alle Geräusche dämpfte. Es war fast Vollmond, der Moment, wenn vom Mond zwar ein Stück fehlt, aber man begreift, dass da am Himmel seit Jahrmillionen diese leuchtende Kugel schwebt, ein großer Ballon, der aus einer toten kalten Landschaft aus Steinen und Staub besteht. Gina setzte sich auf das Sofa im Salon, schaltete die Stehlampe an, deren Licht gerade ausreichte, dass sie das Essen auf dem Teller erkannte, und kuschelte sich, den Teller auf den Knien, unter die Decke. Den Blick aus dem Fenster mied sie. Der hatte nur Unglück gebracht. Dann schaltete sie den Fernseher an.
    Die wunderbare Welt der Amelie.
    Genau der richtige Film. Die Musik hüllte sie ein.
    Gina legte sich hin. Sie war unglaublich müde. Amelie verfolgte diesen Mann, von dem sie nur die Fotos kannte durch Paris. Das Akkordeon spielte. Diese Musik war Frankreich, wie sie es als kleines Kind erlebt hatte. Sie ging mit Grand-père durch die Stadt. Der Eiffelturm erstrahlte auf der anderen Seite der Seine. Die Augen fielen ihr zu und sie schlief bald tief und fest. Im Traum verfolgte sie Karim. Sie ließ seinen Rücken nicht aus den Augen. Doch sie hatte keine Angst. Es war nur ein Spiel. Alles war nur ein Spiel. Er durfte sie nicht zu Gesicht bekommen. Dann und nur dann würde sie gewinnen. Sie rannte nicht, sie schwebte, sie saß auf einem fliegenden Teppich und flog über Paris. Neben ihr lag Noah mit einem Turban und sah aus wie Aladin mit der Wunderlampe. Nein, das stimmte nicht. Es war gar nicht die Wirklichkeit. Hakima erzählte nur eine Geschichte. Sie saß am Küchentisch und berichtete mit der Stimme ihres Großvaters eine Geschichte, in der Gina und Noah über einen azurblauen Himmel schwebten, unter dem eine gelbe Wüste lag. Im Schlaf schüttelte Gina den Kopf. Mann, was träumst du denn da für abgedrehte Sachen? Wach auf, Gina! Es war Pauline, die das rief. »Wir müssen dich in Sicherheit bringen.« »Lass mich«, widersprach Gina, »ich will weiterträumen.« »Wach auf!« Wieder die Stimme von Pauline. »Das Leben ist kein Märchen!« Ein Schatten schob sich vor die Sonne. Das Traumbild verblasste. Gina stellte fest, dass kein Teppich über den Himmel schwebte. Noah war nicht da und sie selbst fiel. Sie stürzte aus großer Höhe hinab und wachte auf. Was war das? Gina schreckte aus dem Schlaf. Ein Geräusch?
    Sie riss die Augen auf. Nein, alles in Ordnung. Nur der Fernseher lief. Der Film war zu Ende . Und woher kam dann dieses Herzklopfen? Warum ging ih r Atem schneller? Und ihre Hände, sie waren eiskalt . Etwas versetzte sie in Unruhe . Etwas lag in der Luft . Eine Ahnung . Gina erhob sich . Gehörte das alles noch zu ihrem Traum ? Sie ging ans Fenster, als ob sie schlafwandelte . Wolken zogen über den dunklen Himmel, stießen an die Däche r und plusterten sich zu Gebirgen auf. Unten auf der Straße führte die Concierge wieder ihren Hund spazieren. Sie wirkten wi e ein altes Ehepaar, das sich nichts mehr zu sagen hatte . Hier und da brannte in den gegenüberliegenden Häusern Licht . Im zweiten Stock stand wieder der Mann in denselben Boxershorts wie vor zwei Tagen im Badezimmer vor dem Spiegel, nu r dass er sich diesmal mit einem Rasierapparat den Kopf rasierte . Im
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