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Maerchenmond - Das Buch zum Musical

Maerchenmond - Das Buch zum Musical

Titel: Maerchenmond - Das Buch zum Musical
Autoren: Wolfgang und Heike Hohlbein
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doch etwas, was ich noch lieber hätte als die kleine Heulsuse.«
    »Und was soll das sein?«
    »Dich«, antwortete Boraas.
    »Mich?« Kim verstand nicht.
    »Schau in den Spiegel«, verlangte Boraas.
    Kim wollte nicht. Noch einmal in das bleiche Gesicht seiner Schwester zu blicken, hätte er nicht ertragen. Aber es gelang ihm auch nicht, sich dem eisernen Willen des Magiers zu widersetzen. Langsam und eindeutig gegen seinen Willen drehte er sich wieder um und sah in den Spiegel. Und es war nicht seine Schwester, die er sah.
    Er blickte in sein eigenes Gesicht.
    Oder jedenfalls ins Gesicht eines Jungen, der so aussah wie er. Er hatte sein Gesicht, seine Augen und seine Haare, doch seine normale Kleidung war verschwunden. Stattdessen trug er dieselbe Art von eiserner schwarzer Rüstung wieder Riese, der ihn hierhergebracht hatte. Er saß zudem auf dem monströsen Thron und Boraas hatte hinter ihm Platz genommen. Ein gewaltiges schwarzes Schwert mit einer beidseitig geschliffenen Klinge lag quer über seinen Knien, und hinter ihm wuchsen die riesigen Gestalten zahlreicher weiterer schwarzer Ritter empor.
    Das Schlimmste aber war das, was er in seinen Augen las: seinen eigenen Augen – und doch denen eines anderen, durch und durch bösen Kim, der er in einem anderen Leben vielleicht geworden wäre … oder zu dem er werden würde, wenn er hierblieb und tat, was der Herr des Schattenreichs von ihm verlangte.
    »Niemals«, sagte er.
    Boraas lachte. »Keine andere Antwort habe ich erwartet«, sagte er. »Komm.«
    Sein Stab bewegte sich und das unheimliche Spiegelbild erlosch. Er stand auf und sein Blick wurde hart. Kim versuchte mit fast verzweifelter Kraft, sich seinem Willen zu widersetzen, aber es war zwecklos. Ein einziger Blick dieser unheimlichen Augen reichte aus, und Kim bewegte sich wie eine Marionette, alsBoraas ans Fenster trat und ihn heranwinkte.
    Das Tageslicht war noch immer grau und hatte kaum die Kraft, gegen den Kerzenschein anzukommen. Doch das Bild, das sich Kim bot, als er neben den weißhaarigen Zauberer trat, passte dazu. Das Fenster lag nicht so hoch über dem Boden, wie er erwartet hatte – vielleicht zwei oder drei Stockwerke – aber dennoch hoch genug, um ihm einen Ausblick über das Land im weiten Umkreis zu gestatten. Er konnte sich nicht erinnern, jemals etwas Trostloseres gesehen zu haben. Einst musste die Burg inmitten grüner Wälder und fruchtbaren Landes gelegen haben. Nun waren davon lediglich schwarze, sonderbar verkrüppelt wirkende Bäume mit kahlen Ästen geblieben. Wie schwarze Skeletthände reckten sie sich einem Himmel entgegen, der wie eine Decke aus geschmolzenem Blei über dem toten Land hing. Grauer, ungesund aussehender Nebel stieg zwischen den verkohlten Stämmen auf, und weit am Horizont glaubte Kim, eine Mauer aus gewaltigen Schatten zu erkennen, die mit dem gleichfarbigen Himmel verschmolzen.
    »Was ist das?«, fragte er stockend, auch wenn er die Antwort eigentlich schon kannte.
    »Das Schattenreich«, antwortete Boraas. »Mein Reich. Und eines Tages auch deines, wenn du es möchtest.«
    »Ganz bestimmt nicht«, murmelte Kim erschüttert.
    »Oh, ich weiß, es gefällt dir nicht«, sagte Boraas. »Aber glaub mir, eines Tages wirst auch du seine Schönheit erkennen.«
    »Ja, bestimmt«, sagte Kim spöttisch.
    »Und irgendwann wird das alles dir gehören«, fuhr Boraas so unbeirrt fort, als hätte Kim gar nichts gesagt.
    »Echt?«, fragte Kim. »Das wird teuer.«
    Boraas sah ihn nun doch an und Kim fuhr mit einem bekräftigenden Nicken fort: »… das alles zu planieren und neue Bäume und Gras anzupflanzen … wird ’ne Weile dauern.«
    Boraas blieb ernst. Er deutete mit seinem Stab auf die Mauer aus Dunkelheit am Horizont. »Es hat hier nicht immer so ausgesehen«, fuhr er fort. »Einst war dieses Land grün und fruchtbar, aber dann hat mein Bruder das Schattengebirge errichtet, um mich und meine Getreuen für alle Zeiten hier einzusperren. Niemandem ist es je gelungen, es zu überwinden, denn es heißt, seine Gipfel reichten nicht nur bis zum Himmel, sondern darüber hinaus. Deine Schwester war die Erste, der es gelungen ist. Und deine Macht ist unendlich viel größer als die deiner Schwester. Du wirst mir den Weg weisen, und mit dir an meiner Seite werde ich zurückerobern, was mir gehört.«
    »Klar doch«, sagte Kim böse.
    »Oh ja, das wirst du«, beharrte Boraas. »Ich weiß, im Augenblick denkst du, dass das nie geschehen wird. Du wirst mich bekämpfen. Du
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