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Märchen

Märchen

Titel: Märchen
Autoren: Astrid Lindgren
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was da auf meinem Beet wuchs. Sie glaubten wohl, es wäre nur Spinat oder Radieschen. Aber sie kamen mit. Und noch nie habe ich gesehen, daß jemand so erstaunt war wie Mama und Papa, als sie die Puppe sahen. Lange Zeit standen sie da und starrten nur. Und Papa sagte:

    »Nein, so etwas habe ich aber wirklich mein Lebtag noch nicht gesehen!«
    Und Mama sagte:
    »Wie konnte das geschehen? «
    »Das konnte geschehen, weil ich ein Puppensamenkorn in die Erde gesteckt habe«, sagte ich.
    Und Papa sagte, er wäre froh, wenn er ein ganzes Kilo von solchen Puppensamen hätte, denn dann könnte er eine Menge Puppen auf dem Markt verkaufen und damit mehr Geld verdienen als mit den Radieschen. Papa und Mama wunderten sich den ganzen Tag.
    Und stellt euch vor: Als ich an einem Sonntagmorgen zu meinem Beet kam, war die Puppe vollkommen fertiggewachsen. Feine weiße Strümpfe und kleine weiße Lederschuhe hatte sie an den Füßen. Ich setzte mich ins Gras, um richtig zu sehen, wie hübsch sie war.
    Und da - genau in diesem Augenblick -, da schlug sie die Augen auf und guckte mich an. Sie hatte blaue Augen, genau, wie ich es mir gedacht hatte. Ich hatte noch nie so eine wunderbare Puppe gesehen, und ich konnte es nicht lassen, ich mußte sie ein wenig streicheln. Aber da brach sie unten an der Wurzel ab, denn sie hatte eine Wurzel unter den Füßen. Ich begriff: Sie war abgebrochen, damit ich sie nehmen konnte. Und das tat ich. Ich lief sofort zu Mama und Papa und zeigte sie ihnen.
    Und dann nahm ich sie mit in mein Zimmer und bettete sie in den Deckel von Mamas Nähmaschine. Ich hatte doch kein Puppenbett für sie. Den ganzen Tag spielte ich mit ihr, und ich war so glücklich, daß ich kaum essen konnte. Ich nannte sie Margareta. Als es Abend wurde, legte ich sie sorgsam in den Nähmaschinendeckel und sagte zu ihr:
    »Gute Nacht, Margareta!«
    Aber was glaubt ihr wohl, was da geschah? Die Puppe machte den Mund auf und sagte:
    »Ich heiße nicht Margareta. Wie kommst du bloß darauf? Ich heiße Mirabell.«
    Denkt nur, sie konnte reden! Sie plapperte wie eine kleine Mühle, und ich war so erstaunt, daß ich kaum antworten konnte. Sie sagte, sie wolle ein ordentliches Bett haben und ein Nachthemd.
    Und dann sagte sie noch, sie könne mich riesig gut leiden und möchte mich gern zur Mama haben.
    »Aber versuch niemals, mir Grütze zu geben«, sagte sie, »denn die esse ich nicht!«
    Ich fühlte, daß ich nachdenken mußte. Deshalb kroch ich erst mal in mein Bett und lag ganz still. Mirabell war jetzt auch still.
    Aber plötzlich sah ich, warum sie so still war. Sie versuchte nämlich, auf die Kommode zu klettern. Und sie schaffte es. Als sie oben auf der Kommode war, hopste sie in ihr Bett, ich meine: in den Nähmaschinendeckel. Mehrere Male machte sie das, und sie lachte entzückt und sagte:
    »Du, das macht Spaß!«
    Nach einer Weile kam sie an mein Bett, legte den Kopf schief und sagte:
    »Darf ich raufkommen und mich zu dir legen? Du bist doch jetzt meine Mama.«
    Ich hob sie zu mir ins Bett, und da lag sie und redete. Es war lustig, ihr zuzuhören. Ich war so froh über Mirabell, so froh bin ich noch nie in meinem Leben gewesen. Aber schließlich hörte sie auf zu reden. Sie gähnte ein paarmal - oh, wie sah das süß aus! - und kuschelte sich in meinem Arm zusammen und schlief ein. Ich traute mich nicht, sie dort wegzunehmen.
    Sie durfte die ganze Nacht so liegenbleiben. Ich lag lange, lange wach und hörte, wie sie in der Dunkelheit atmete.
    Als ich morgens aufwachte, war Mirabell auf den kleinen Tisch neben meinem Bett geklettert. Da stand ein Glas mit Wasser.

    Mirabell goß das Wasser aus. Dann lachte sie und sprang in den Nähmaschinendeckel hinunter. Mama kam herein, um mich zu wecken, und da lag Mirabell ganz still und sah wieder aus wie eine gewöhnliche Puppe.
    Nun habe ich Mirabell schon seit zwei Jahren, und ich glaube nicht, daß es irgendwo auf der Welt ein Mädchen gibt, das eine so wunderbare Puppe hat wie ich. Gewiß, sie ist ziemlich wild, das ist wahr. Aber ich mag sie trotzdem so gern. Niemand außer mir weiß, daß sie sprechen und lachen und essen kann wie ein richtiger Mensch. Wenn Mama und Papa in der Nähe sind, starrt sie gerade in die Luft und sieht nicht ein bißchen lebendig aus.
    Aber wenn wir allein sind - oh, oh, oh! Wir haben so viel Spaß!
    Waffeln mag sie besonders gern. Ich habe ein kleines Waffeleisen, und jeden Tag backe ich ihr Waffeln. Mama glaubt, ich tue nur so, als ob Mirabell essen
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