Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Märchen von den Hügeln

Titel: Märchen von den Hügeln
Autoren: Waltraut Lewin & Miriam Magraf
Vom Netzwerk:
verheißungsvoller Teppich. Ein Häher strich krächzend ab, zwei Eichhörnchen schlüpften den Stamm empor. Der Wald war sehr still. Als der Mond zwischen den Baumwipfeln hervortrat und die Farben zu verblassen begannen, hielten sie inne.
    »Ob es kommt?« fragte der Jüngste.
    »Sicher«, erwiderte das Mädchen.
    »Wir wollen hier ausruhen und es erwarten«, schlug Norman vor. »Es kommt bestimmt.«
    Der kleine Rico gähnte. »Ich bin gar nicht müde«, sagte er. »Meine Füße sind ganz munter.«
    Der Große schleppte ein paar niedergebrochene Tannenzweige herbei, sich darauf zu setzen, und sie verwunderten sich, daß Tannennadeln, deren jede für sich spitz und spröde ist, so weich sein können wie ein Teppich aus kostbarem Garn. Sie setzten sich und schwiegen; es dämmerte. Ein Käuzchen schrie, und Rico begannen die Augen zuzufallen. Die Schwester legte den Arm um ihn. »Es ist schön im Wald«, murmelte er.
    Etwas wie ein Nebelstreif regte sich zwischen den Bäumen, und der Mond warf eine Bahn von ihnen bis dorthin.
    Norman straffte sich. Sanft stieß er die einnickenden Geschwister an. »Kommt, es ist da.«
    Sofort hellwach, erhoben sich die drei, gingen Hand in Hand langsam auf die Helligkeit zu.
    Das Einhorn hatte ein lockiges, seidenweiches Fell. Seine langbewimperten Augen glänzten wie die einer schönen Frau. Mit der Geste eines hingebungsvollen Troubadours neigte es den Kopf und schmiegte sich schmeichlerisch an Maggys Leib, vorsichtig das rotbraune gedrechselte Horn beiseite drehend. Die beiden Großen umhalsten es zärtlich. Rico bedeckte seine dunkle Nase und die weichen Lefzen mit Küssen. Ein zarter Maiglöckchenduft strömte aus dem Fell des Tieres.
    Sie geleiteten es vorsichtig zu ihrem Lager aus Tannenreis, wo es sich mit gekreuzten Vorderbeinen niederließ und wohlig schnaufend den Kopf im Schoß des Mädchens hinbreitete. Die Kinder saßen, fast gelähmt vor Entzücken, um das schöne Wesen herum.
    Nach einer ganzen Weile fragte Rico im Flüsterton: »Was nun?«
    »In den alten Geschichten«, entgegnete Norman genauso leise, »trinkt es roten Wein aus der goldenen Schale des Königs.« Er zuckte die Achseln.
    »Vielleicht hat es Hunger?« fragte der Kleine wieder.
    »Die Lembas«, sagte das Mädchen, die Hände tief in dem duftenden Fell vergraben.
    Norman holte das Päckchen aus der Hosentasche. Das Einhorn hob den Kopf und schnupperte. Dann zog es zierlich die Lippen von den perlweißen Zähnen und begann die Elbenwaffeln zu benagen.
    Zur Freude der Kinder, die sie ihm abwechselnd hinhielten, fraß es alles auf und leckte mit sanfter Zunge auch die Krümel von Ricos Handfläche. Die drei stöhnten vor Glück.
    Dann, als sich das Tier zum Schlaf zurechtlegte und die langen Wimpern über die Augen senkte, schlug Norman vor: »Wir wollen es in Schlaf singen. Vom letzten Mal wissen wir ja, es mag Lieder.«
    Zart begannen sie: »Komm, Trost der Welt, du stille Nacht. . .«
    Die Mondsichel stand überm Walde.
    Sie kuschelten sich in das lockige Fell des Tieres und sahen mit weit offenen Augen zum Himmel, diesen Schlummer behütend.
    Der Schrei hatte auch Donna herbeigelockt. Die Arme in die Hüften gestützt, hörte sie sich das Lamento des Zwerges an. »Das sieht meiner Brut durchaus ähnlich«, bemerkte sie kopfnickend. »Darf ich mal sehen, was das für Steine sind? Ich kenne mich nämlich aus.«
    Stumm vergewisserte sich Adalbert, daß alle Fensterritzen geschlossen waren, dann öffnete er das Kästchen noch einmal. Die Drächin pfiff durch die Zähne. »So was hätte ich auch gern im Schweif gehabt. Jeder mindestens zwölf Karat und reinstes Wasser«, sagte sie fachmännisch. Adalbert schlug schnell den Deckel zu, und Donna lachte. Es klang etwas schrill. »Keine Angst, Herr Nachbar, ich will Ihnen nicht an Ihre Pretiosen. Ich trage sowieso nur noch Talmi; alles, was ich hatte an Werten, ist von Lindos Uhren verschlungen, und hätte ich neue Steine, nun, so würde es ihm gelingen, auch sie für die Steine einer alten Schweizer Uhr einzutauschen. Seien Sie nicht so mißtrauisch, uns verbinden gleiche Interessen. Sie wollen Ihren Gondril, ich meine Kinder wiederhaben. Denn daß die drei etwas ganz anderes im Sinn hatten, als ein Pferd im Wald zu suchen, das beweist ja hinlänglich Leontines Brauner, der übrigens gerade die Clematis an Ihrem Haus abfrißt.«
    Der Zwerg heulte auf, und Leontine stürzte hinaus.
    Die schöne Echse ließ ihre Augen aufmerksam durch den Raum schweifen, in den
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher