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Märchen von den Hügeln

Titel: Märchen von den Hügeln
Autoren: Waltraut Lewin & Miriam Magraf
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grasend.
    Der Zwerg verfolgte den Auszug der halbelbischen Brut mit Genugtuung und winkte jetzt heftig die junge Frau zu sich heran. In einer Aufgeschlossenheit, die für ihn selten war, ersuchte er sie, einen Moment zu ihm hereinzukommen. Er gestattete dem von ihm mit Mißtrauen betrachteten Pferd sogar, sich in seinem Vorgarten aufzuhalten, obgleich auch ihm die Gefahr für seine Erdbeerpflanzen klar sein mußte. Offenbar brauchte er jemanden, mit dem er sich aussprechen konnte, denn in seinen großen, tragischen Augen lag eine flehentliche Bitte, die Leontines gutes Herz bewog, bei ihm einzukehren.
    Adalberts Behausung war zwar klein, aber höchst gemütlich, und wen die zahlreichen tickenden Uhren (ein Hobby, das er mit Lindo teilte) nicht störten, konnte sich bei ihm wohl behaglich fühlen.
    Zu Leontines Erstaunen verstand er nicht nur, einen guten Kaffee zu brauen, sondern buk auch am Tisch in einem urtümlichen Eisen Waffeln, und sie gerieten ihm knusprig und wohlschmeckend.
    »Ein elbisches Rezept«, bemerkte er auf ihr Lob hin, »den Lembas nachempfunden. Natürlich, original ist das nicht. Mit bestimmten Geheimnissen rückt ja das Schöne Volk nicht heraus, wie Sie wissen. Man stößt dann nur auf ironisch verzogene Mundwinkel und das berühmte Gelächter.« Er goß neuen Teig in das Eisen. »Noch eine Portion, verehrte Leontine?«
    »Auf keinen Fall, so vorzüglich sie auch sind«, wehrte sie erschrocken ab. Sie wolle sich ja nicht zur Wagner-Heroine hochstilisieren.
    »Nun gut«, resignierte Adalbert, »da esse ich sie eben selbst. Mir tut so was nichts.«
    Aber auch er mühte sich mit der zweiten Portion. Offenbar hatte er etwas auf dem Herzen. Schließlich rückte er mit der Sprache heraus. »Ich frage mich vielleicht öfter, als gut ist, ob ich recht getan habe damals, als ich das Innere der Erde verließ und ans Tageslicht ging. Zu verführerisch war der Glanz der Sterne, deren ewige Figuren ich wiedererkannte, und zu herrlich der Sonnenaufgang, den ich sah am Hügel. Daß ich die Uhr ließ, mag recht sein. Aber all die anderen Schätze der Erde, die vielleicht meiner harren? Ach, Leontine, es heißt, das Schöne Volk sei ausgewandert und die wenigen, die geblieben sind, hätten das Wesen der Sterblichen angenommen und ihre Herkunft vergessen. Aber ich kann das nicht glauben. Ist elbisch nicht alles um uns her, flatterhaft, wandelbar, geheimnisvoll und undurchschaubar? Ich sitze unter den Kiefern, aber plötzlich trägt mir der launische Wind einen Geruch von Rosen zu. Schon bin ich verwirrt. Ich grabe in der Erde, säe und pflanze, aber statt nützlicher Kräuter oder wohlgepflegter Blumen sprießen vor meinen erstaunten Augen die seltsamsten neckischen Pflanzen, von denen nie die Rede war. Was ist das alles für ein Wesen? Eben scheint die Sonne, schon regnet es, und kaum habe ich mich auf schlechtes Wetter eingerichtet, da vertreibt ein Windstoß die Wolken, und ich weiß nicht, wohin mit Paletot und Gummistiefeln. Unter der Erde war es immer gleichmäßig temperiert, dergleichen Überraschungen fielen aus. Ist das hier oben nicht alles elbischer Schabernack? Man weiß nie, woran man ist.«
    Leontine mußte lachen. »So ist nun einmal der Lauf der Welt, Adalbert. Wollen Sie, daß sich alles nach Regeln hinzirkelt? Tun Sie sich mit Darenna zusammen, wenn Sie in Gesetze vernarrt sind.«
    »Es geht nicht um Gesetze«, widersprach der Zwerg, »sondern um Beständigkeit. Auch Magier studieren schließlich die Gesetze nur, um sie zu nutzen und Veränderung zu erlangen. Wenn sie wollen, schmelzen sie Wolken weg oder verwandeln Drachen in Frauenzimmer. Nicht das ist es!«
    »Aber auch Zwerge sind dem Schmiedehandwerk und der Mechanik zugetan und stellen kunstvolle Dinge her«, entgegnete Leontine.
    »Du verstehst mich nicht«, sagte Adalbert mürrisch, »oder du willst mich nicht verstehen. Es geht nicht um das, was man mit toten Dingen macht, und komm mir nicht als nächstes mit der Redensart, so sei nun einmal das Leben, daß alles wandelbar dahinfließe. Das weiß ich wohl. Es ist das andere . . .«, er stockte. »Leontine«, sagte er tonlos und ging wieder vom Du, in das er in der Aufregung verfallen war, zum gewohnten Sie über, »es heißt allgemein hier in den Hügeln, daß der Große Elb Ihnen einstmals gelobt habe, sein unirdisches Teil abzutun und ein Mensch unter Menschen zu werden. Es heißt aber auch, daß diese Verwandlung zwar begonnen, aber schließlich doch nicht vollzogen wurde, daß das
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