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Maerchen aus Malula

Titel: Maerchen aus Malula
Autoren: Rafik Schami
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erschöpft zusammen, doch der Hase hüpfte ganz vergnügt im Kreis herum, als mache ihm das Reisen überhaupt keine Mühe.
    »Also mir geht er langsam auf die Nerven. Er ist viel zu schnell«, flüsterte der Fuchs.
    »Mir auch, ich habe kein Gefühl mehr in meinen Füßen«, bestätigte die Gans. Auch die übrigen grollten dem Hasen, bei dessen Anblick sie sich um Jahre gealtert fühlten.
    »Was haltet ihr davon, wenn ich ihn verjage?« fragte der Fuchs.
    »Wie willst du das anstellen?« fragte der Pfau.
    »Er verwechselt Schnelligkeit mit Tapferkeit. Ich werde ihm aber zeigen, daß er es zwar in den Beinen, aber nicht im Herzen hat. Ich werde ihn so erschrecken, daß er sich seiner Feigheit schämt und im Dunklen verschwindet«, sprach der Fuchs leise undbeobachtete den Hasen, der auf einem Hügel saß und den Mond betrachtete. Nicht einmal der ansonsten so mißtrauische Rabe fand den Vorschlag schlecht, dem Angeber etwas Bescheidenheit beizubringen. So geschah es, daß der Fuchs zum Hasen hinüberschlich. Nach einer Weile hörten alle den Hasen erschrocken um Hilfe rufen. Die Tiere lachten. Ein jämmerliches Piepsen folgte, dann trat Stille ein.
    Es dauerte lange, bis der Fuchs zurückkehrte. »Ich habe ihn so erschreckt«, sagte er, »daß er uns für immer in Ruhe lassen will.« Immer wieder prahlte er mit seiner Tat, bis der Hahn gähnte.
    »Ich muß schlafen gehen!« sagte er.
    »Warum so eilig? Laßt uns doch etwas miteinander die Nacht genießen. Es ist eine Ewigkeit her, daß so verschiedenartige Tiere in solcher Eintracht miteinander reisten«, sagte die Gans, doch der Hahn setzte sich auf einen abseits stehenden Baum und war nach einer Weile fest eingeschlafen. Die anderen unterhielten sich bis tief in die Nacht. Alsbald aber weckte sie der Hahn. Schon in der ersten Morgendämmerung krähte er so laut, daß seine Reisegefährten erschreckt hochfuhren und ihn böse anstarrten.
    »Muß das sein?« fragte der Fuchs.
    »Ich verstehe die Hühner nicht. Sie verzichten auf die süße Nacht, um den Lebewesen mit ihrem Krach den Morgen zu vergällen«, jammerte die Gans.
    »Munter sollt ihr werden, ihr Anbeter der Nacht. Habt ihr noch nie den weisen Spruch gehört:Morgenstund’ hat Gold im Mund?« krähte der Hahn, doch der Rabe konnte die Augen kaum öffnen. Er gähnte und nickte wieder ein.
    »Ja und, was hat man davon, wenn man vor lauter Müdigkeit nicht einmal den eigenen Schnabel aufsperren kann?« bemerkte der Pfau schroff.
    »Wer zuerst kommt, mahlt zuerst!« setzte der Hahn sein Gekrächze fort.
    »Hat dich eine Eule aufgezogen, daß du in der Morgendämmerung und auf nüchternen Magen solche Weisheiten ausspuckst?« fragte der Fuchs erbost, doch durch nichts ließ sich der Hahn seine gute Laune verderben. Er stupste den Raben an.
    »Auf geht’s, Sohn der Finsternis. Kein Wunder, daß deine Stimme so gräßlich ist. Nur wenn sich deine Augen an Sonne und Morgenluft laben, wirst du Gold in deiner Kehle haben«, krähte er laut, doch der Rabe winkte ab. »Geht nur«, gähnte er, »ich fliege euch nach.« Und so setzte die Pilgergesellschaft ohne ihn ihre Reise fort.
    Gegen Mittag wachte der Rabe ausgeruht auf. Er stillte seinen Hunger auf den nahen Feldern und flog dann hoch in den Himmel, um nach seinen Weggenossen Ausschau zu halten, doch weit und breit waren sie nicht mehr zu sehen. Eine herrliche Landschaft erstreckte sich unter seinen Augen und verlockte den Raben zum Bleiben, doch Raben ziehen eine gesellige Hölle einem einsamen Paradies vor. So eilte der Rabe gen Süden. Erst am frühen Nachmittagholte er die ermatteten Pilger ein. Sie fluchten alle über den Hahn, der sie aus dem Schlaf gerissen hatte, doch der Sonnenwecker ermahnte sie, sich vor der Verführung der Nacht in acht zu nehmen. Als es Abend wurde und der kühle Wind heraufzog, legten sich die Reisenden nieder. Der Mond stieg in den klaren Himmel auf und bezauberte die Ermüdeten. Der Pfau, der schon in seinen jungen Jahren an den vornehmsten Höfen Dichtung und Gesang gelernt hatte, hob an, die Schönheit des Mondes zu preisen, doch der Hahn krähte: »Geh lieber schlafen, kranker Fuß, sonst singst du uns morgen nur noch deine Klagelieder vor!« Er lachte verächtlich, hockte sich auf einen Ast und schlief sofort ein.
    Der Pfau schaute verdutzt in die Gegend. »Also das macht mich langsam krank. Was geht das ihn an, wenn ich bis zum Mittag schlafe und die Nacht wach bleiben will?«
    »Hühner sind nun mal besonders stumpfsinnig«,
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