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Maerchen aus Malula

Titel: Maerchen aus Malula
Autoren: Rafik Schami
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die Münze an und biß in ihre Kante. »Sie ist echt«, bestätigte sie.
    »Aber du darfst dich nicht aufregen. Wenn du dich nämlich ärgerst, wirst du gar nichts bekommen, und du verlierst deine Träume«, wiederholte der Schloßherr und öffnete das Tor, so als wüßte er, daß die Goldmünze jeden verführt.
    »Ich ärgere mich nie«, antwortete Fatima und betrat den Hof. »Aber was ist, wenn du dich ärgerst?«
    »Ich? Kein Mensch auf der Erde kann mich ärgern!« rief der Schloßherr amüsiert.
    »Aber was ist, wenn du dich doch ärgerst?« lachte Fatima hell.
    »Dann bekommst du zwei Münzen«, antwortete der Schloßherr und zeigte Fatima, was sie zu tun hatte.
    Am nächsten Tag arbeitete Fatima, sang und lachte und beobachtete den Schloßherrn, der kurz vor dem Mittagessen das verschlossene Zimmer aufsuchte, für eine kurze Weile hineinging und fröhlich herauskam. Der Tisch deckte sich plötzlich mit den schönsten Gerichten, Früchten und Weinen. Gierig aß der Herr und sang: »Oh, wie gut die Träume schmecken.« Abends ging er wieder in das Zimmer hinein, und als er wieder herauskam, hörte Fatima ihn vor dem Schlafengehen singen: »Oh, wie weich die Träume mein Bett machen.« Fatima versuchte mit aller Kraft, das Schloß zum geheimnisvollen Zimmer aufzukriegen, aber sie schaffte es nicht. Erschöpft fiel sie zuspäter Stunde auf die Heumatratze in ihrem Kämmerlein und schlief sofort ein. Am nächsten Morgen grüßte Fatima die alte Frau und lächelte sie an. Als diese sich am Vormittag ermüdet an die Wand im großen Korridor lehnte, ging Fatima zu ihr, streichelte ihre vernarbten Hände und lächelte sie wieder an. Die Frau schaute jedoch weg.
    »Hat er dir deine Träume geraubt?« fragte Fatima. Die Frau drehte sich zu dem jungen Mädchen, ihre Augen waren voller Tränen. Sie nickte. »Und deine Worte, hat er sie dir auch gestohlen?« bohrte Fatima weiter. Die Frau nickte erneut. Fatima umarmte sie. »Hab keine Sorge, wir werden einen Weg finden«, ermunterte sie die Alte.
    Am späten Abend wartete Fatima, bis der Schloßherr ins Bad ging. Sie folgte ihm. Als sie hörte, wie er in der großen Badewanne sang, schlich sie in den Umkleideraum. Dort lagen die seidenen Kleider und die goldene Kette mit dem kleinen Schlüssel zum verschlossenen Zimmer. Fatima zog einenWachsklumpen aus ihrer Tasche und nahm von dem Schlüssel einen Abdruck. Das Blut erstarrte in ihren Adern, als der Schloßherr rief: »Es zieht, es zieht. Ich sehe alles. Bewege dich nicht!« Doch Fatima rannte hinaus und legte sich ins Bett. Nach einer Weile spürte sie, wie der Schloßherr die Tür zu ihrer Kammer öffnete und die Öllampe hochhielt. »Nein, die schläft!« flüsterte er und ging.
    Am nächsten Morgen drückte sie der alten Frau den Wachsklumpen in die Hand, und diese eilte damit in die Stadt. Am Freitag kam sie und überreichte Fatima einen kleinen Schlüssel aus Messing. Fatima wartete, bis der Schloßherr schlafen gegangen war. Dann nahm sie den Schlüssel und schlich barfuß zum Zimmer. Ihr Herz klopfte stark, als sie den Schlüssel ins Schloß steckte. Sie drehte ihn um, und siehe da, die Tür öffnete sich. Ein buntes Licht strahlte ihr entgegen, als sie das Zimmer betrat. Sie blieb wie angewurzelt stehen. Tausende von kleinen goldenen Käfigen hingen in dem großen fensterlosen Zimmer. In jedem Käfig flatterte hilflos ein Schmetterling. Ihre Flügel schimmerten und strahlten wie tausend kleine Monde und Sterne. Nur mit Mühe konnte sich Fatima zurückziehen. Nicht nur die Schönheit der Schmetterlinge machte es ihr schwer, sondern auch der Gedanke, daß sie sie noch in Gefangenschaft lassen mußte, bis der ersehnte Augenblick gekommen wäre.
    Am Samstagmorgen strahlte der Schloßherr Fatima erwartungsvoll an:
    »Wenn du diesen Tag aushältst, dann wirst du um eine Goldmünze reicher«, rief er und lachte listig.
    »Ich träumte, daß ich um zwei Münzen reicher würde«, erwiderte Fatima.
    »Träumerin! Sieh nun zu, daß du die Milch holst, bevor sie in den Eutern meiner teuren Kuh zu Joghurt wird«, befahl er. Fatima nahm die Kanne, lächelte der alten Frau zu, die vor der Küche denBoden fegte, und ging pfeifend in den Stall. Dort schaute sie die fette Kuh an und sprach: »Was machst du hier? Du arme Kuh! Fressen und schlafen, um gemolken zu werden. Bald wird er dich schlachten, weil du immer weniger Milch gibst. Geh in den Wald, dort ist das Leben gefährlich, aber doch lebenswert.« Sie öffnete bei diesen
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