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Maerchen aus Malula

Titel: Maerchen aus Malula
Autoren: Rafik Schami
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die alte Frau wieder. Sie lächelte ihn an und drückte seine erschöpften Hände. Hassan wollte sie von sich stoßen, da er sehr verärgert war, aber die alte Frau hielt seine Hände fest und lächelte. Sie stieß unverständliche Laute aus und zeigte auf das verschlossene Zimmer, aber Hassan verstand nicht,was sie sagen wollte. Er kochte den Tee, stellte die Kanne und die vorgewärmte Tasse auf das silberne Tablett und trug es zum Schloßherrn. Der Matetee duftete anregend, doch als der Mann den ersten Schluck genommen hatte, spuckte er aus und stieß die Tasse fort.
    »Was ist das nur für ein Sud? Hast du den guten Tee ausgetrunken und bringst mir statt dessen den zweiten Aufguß?« schrie er.
    »Aber Herr. Bei der Seele meines Vaters! Ich habe keinen Tropfen davon getrunken«, stammelte Hassan ängstlich.
    »Du Lügner, du! Willst du mich quälen?« rief der Schloßherr und warf mit der Teekanne nach Hassan. Sie traf ihn mitten im Gesicht und fiel zu Boden.
    Hassans Geduld erstarb bei dieser Demütigung. »Genug!« schrie er und trat die Kanne gegen die Wand. »Was soll das? Ich habe mich die ganze Woche abgeschuftet, und nun willst du mich um die Frucht meiner Arbeit bringen. Jawohl, ich ärgere mich über deine Schweinereien. Ich könnte dich erwürgen. Was glaubst du, wer du bist? Hm?« Hassan schrie, wie er noch nie geschrien hatte, aber den Schloßherrn schien dies nur zu amüsieren. Er wälzte sich auf seinen weichen Kissen vor Lachen. Hassan erkannte nun, daß er verloren hatte. Er nahm seine Jacke und ging. Die Rufe des Schloßherrn hallten ihm nach: »Deine Träume werden mir schmecken … deine Träume werden mir schmecken …«
    Hassan heulte, als er das Schloßtor hinter sich zuschlug. Die alte Frau saß auf einem flachen Stein vor dem Tor. Sie begrub ihren Kopf in den Händen und weinte.
    Hassan rannte mit letzter Kraft nach Hause, aber erst um Mitternacht erreichte er das Haus. Er sah eine kleine Kerze am Fenster und konnte die Mutter im Bett liegen sehen, da das einzige Zimmer ihrer Hütte keinen Vorhang hatte. Fatima saß neben ihr und nähte. Nacht für Nacht stellte sie die Kerze ans Fenster, denn sie hatte geschworen, nie das Licht ausgehen zu lassen, solange ihr Bruder noch in der Fremde war. Hassan zögerte lange vor der Tür. Er schämte sich, mit leeren Händen hineinzugehen. Er hörte die Mutter fragen, ob Hassan je zurückkehren würde. Fatima beruhigte sie und sagte, daß er sie nie vergessen würde. Hassan, der diese Worte vernahm, wäre am liebsten vor Zorn und Trauer gestorben. Endlich faßte er Mut und betrat das Zimmer. Die Freude der beiden war unbeschreiblich, doch Hassan weinte nur und erzählte von seinem Unglück. »Wenn ich etwas klüger gewesen wäre, so hätte ich den Schloßherrn noch die paar Stunden ertragen. Ich bin dumm.«
    »Nein, Bruder, du bist klüger als alle Schloßherren der Erde. Du warst aber nicht aufsässig genug. Warte hier bei der Mutter. Ich will mein Glück versuchen und dir deine Träume zurückholen.«
    »Aber Tochter, du bist erst zwölf und so klein und schwach«, klagte die Mutter, doch Fatima machtesich am nächsten Morgen auf den Weg. Sie wußte, daß es im Hause nur noch für eine Woche Vorrat gab. Hassan beschrieb ihr den Weg zum Schloß, und so war es für Fatima nicht schwer, es schon am frühen Nachmittag zu erreichen. Sie klopfte an und wartete. Die stumme Putzfrau kehrte im Hof. Sie schaute kurz auf, schüttelte den Kopf und arbeitete weiter.
    »Ach, wen haben wir denn da?« rief der Schloßherr. »Ein kleines Mädchen! Hast du dich verirrt, oder willst du um ein Stück Brot betteln?«
    »Ich hatte gestern einen Traum, und er führte mich in dein Schloß. Ich folgte ihm und verlor meinen Weg nicht«, antwortete Fatima.
    »Was für einen Traum? Und warum führte er dich zu mir?« belustigte sich der Schloßherr.
    »Ich soll hier eine Woche lang arbeiten und reich und glücklich zurückgehen.«
    »Ich brauche hier zwar jemanden, aber du wirst es nicht aushalten. Bei mir darfst du dich nicht ärgern, denn dann verlierst du deinen Lohn und deine Träume.«
    »Und was bekomme ich für die Woche?«
    »Diese Goldmünze«, sagte der Schloßherr.
    »Zeig her, was mir gehören soll!« antwortete Fatima. Der Schloßherr war erstaunt über ihre Frechheit, doch er zog aus seiner Manteltasche eine glänzende Goldmünze und reichte sie Fatima. Sie nahm die Münze, warf sie mehrmals auf den Boden undhorchte auf ihren Klang, dann schaute sie mißtrauisch
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