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Maerchen aus Malula

Titel: Maerchen aus Malula
Autoren: Rafik Schami
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Worten die Tür, gab der Kuh einen kräftigen Schlag mit der flachen Hand auf den Hintern und kehrte mit der leeren Kanne ins Haus zurück. Als hätte sie die Worte verstanden, rannte die Kuh schnell in den nahen Wald und verschwand nach einer kurzen Weile im Dickicht.
    »Was? Du hast die Kuh noch nicht gemolken?« brüllte der Schloßherr, als er Fatima mit der leeren Kanne sah.
    »Die Kuh hat keine Lust mehr. Ich kam, um sie zu melken, da sprach sie: ›Geh und sage dem fetten Zweibeiner, ich habe keine Lust mehr, hier zu verblöden, damit er noch fetter wird. Ich haue ab.‹ Das hat sie gesagt und ist wirklich auf und davon gegangen.«
    »Was? Meine teure Kuh ist fortgelaufen?« schrie der Mann und sprang vom Sessel auf.
    »Ärgerst du dich darüber?« fragte Fatima und lächelte.
    Der Schloßherr bemerkte sofort seinen Fehler. Er grinste: »Nein, ich glaube dir aber nicht. Sattele mir das Pferd. Ich werde hinausreiten und die Kuhfragen, ob sie dir das gesagt hat, und wenn du gelogen hast, dann mußt du den Stall mit deiner Zunge putzen, aber ohne dich zu ärgern. Beeile dich, ich habe keine Zeit.«
    Fatima eilte in den Stall. Sie befreite das Pferd vom Zügel und sagte: »Pferd, schau, wie schön du ohne Zügel ausschaust. Draußen sind die Berge und Flüsse, die deine Hufe begehren. Geh! Was willst du in diesem stinkenden Stall?« Bei diesen Worten gab sie ihm einen Klaps auf den Hintern, und das Pferd rannte wie ein Pfeil davon.
    »Das Pferd«, sagte Fatima, als sie zum Schloßherrn zurückkehrte, »hatte keine Lust mehr, dich zu tragen. Es sagte, du seist viel zu schwer für seinen Rücken, und für das bißchen Hafer lohne es sich nicht, die Schmach bei dir zu ertragen. Das Pferd will lieber die Welt bereisen, und wenn es einen noch schlimmeren Menschen als dich trifft, so wird es zurückkommen.«
    »Ich werde verrückt. Mein edles Pferd ist weg. Ich höre nicht richtig!« schrie der Schloßherr.
    »Doch, doch, aber ich sehe schon, daß du dich ärgerst«, lachte Fatima.
    »Nein!« brüllte er. »Kühe und Pferde sind käuflich, und was ich mit meinem vielen Gold erwerben kann, das kann mich nie ärgern. Nun geh und mache mir einen Tee.«
    »Jetzt schon?«
    »Ja, jetzt. Samstag ist ein ungewöhnlicher Tag.«
    »Ich habe aber noch nicht gefrühstückt«, antwortete Fatima und nahm einen Brotlaib aus dem Korb.
    »Ich habe vergessen«, heuchelte der Schloßherr, »dir zu sagen, daß meine Knechte am Samstag nicht essen dürfen. Laß das Brot und beeile dich, mir einen Tee zu kochen.«
    »Wenn ich nicht esse, werde ich schwerhörig und vergeßlich. Was hast du zuletzt gesagt?«
    »Matebrockentee!« brüllte der Schloßherr.
    »Komisch! Den willst du trinken?«
    »Was ist daran komisch? Ich trinke ihn jeden Tag«, erwiderte der Herr laut.
    »Bist du sicher?«
    »Ja!« stöhnte er.
    Fatima werkelte eine Weile am Herd und kehrte mit einer großen, dampfenden Tasse zurück. Der Herr nahm einen Schluck und mußte sofort husten und spucken. »Was ist das denn?« schrie er und wischte sich angewidert den Mund.
    »Altesockentee«, antwortete Fatima.
    »Was hast du gekocht?«
    »Alte Socken. Ich habe mich auch gewundert und dachte, ich irre mich, doch du hast gesagt, jawohl, ich will das trinken.«
    »Ich habe Matebrocken und nicht alte Socken gesagt«, knurrte der Schloßherr.
    »Entschuldige mich bitte. Mein leerer Magen betäubt meine Ohren. Ärgerst du dich jetzt?« fragte Fatima.
    »Ich?« lachte der Herr verbittert. »Nein, aber bald ist es Mittag, und du wirst hoffentlich deinen Hunger ertragen.«
    »Doch, du ärgerst dich, aber du willst es nicht zugeben«, entgegnete Fatima und eilte hinaus. Die alte Frau strahlte ihr entgegen. »Nur noch ein paar Stunden, und dann wirst du deine Träume wiederhaben«, flüsterte Fatima und half der Frau bei ihrer Arbeit auf dem Hof.
    Kurz vor Mittag hielt sie inne und schaute die Frau an. »Jetzt ist es soweit.« Die Frau ließ den Besen fallen und eilte mit Fatima ins Haus. Fatima öffnete die Tür zum Gefängnis der Schmetterlinge und befreite sie alle aus ihren goldenen Käfigen. Sie flatterten aus dem Zimmer und flogen aus dem Haus hinaus wie ein Bündel Farben. Zwei Schmetterlinge landeten auf dem Kopf und dem Mund der alten Frau, küßten sie, und die Frau lachte und sprach: »Mein Name ist Mariam.« Fatima und Mariam fielen sich in die Arme, und als sie dem letzten Schmetterling ans Licht geholfen hatten, schlossen sie leise die Tür und gingen wieder auf den Hof
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