Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Maerchen aus Malula

Titel: Maerchen aus Malula
Autoren: Rafik Schami
Vom Netzwerk:
dafür.
    Der Händler schaute auf den wohlgenährten Esel,und da er sich wünschte, endlich seinen müden Rücken von der Last seines schweren Bündels zu befreien, nahm er den Esel und zog davon.
    Nach einer Woche kehrte der Bauer zurück. Seine Frau schmückte sich mit der Kette und zog das schöne Kleid an, doch ihr Mann interessierte sich nicht für sie.
    »Wo ist der Esel, Frau?«
    »Lieber Mann«, erwiderte sie, »ich ging, wie du mir befohlen hast, ihm Futter zurechtzumachen. Die beste Gerste habe ich ihm gebracht, und was sehe ich da? Er hatte sich inzwischen in einen Richter verwandelt. Er sagte mir, er hätte keine Lust mehr, in deinem stinkenden Stall zu stehen und dich mit deinem fetten Bauch zu tragen. Das hat der verdammte Esel gesagt und ist in die Stadt gegangen, um über die Menschen zu richten.«
    »Das habe ich nun von diesem undankbaren Vieh! Ich werde ihm zeigen, wer der Herr und wer der Esel ist. Hat er dir gesagt, wo er ist?«
    »Ja, am Gerichtshof in der Hauptstadt.«
    »Na warte, ich werde ihn zurückbringen!« rief der Mann und beeilte sich, in die nahe Hauptstadt zu kommen.
    Dort fragte er nach dem Gerichtshof, und als er das prächtige Gebäude sah, stöhnte er: »Natürlich hast du es hier besser, aber ich bin nun mal dein Besitzer.«
    Er nahm ein Büschel Gras und lief suchend vonRaum zu Raum, bis er einen einäugigen Richter fand.
    Er betrat den Saal, wedelte mit dem Gras und rief: »Komm! Komm, komm! Du Verfluchter, hast du die Gerste vergessen, die du bei mir gefressen hast? Komm!«
    Da fragten ihn die Leute, die im Gerichtssaal saßen: »Was sagst du, Mann?«
    »Der Richter ist mein Esel«, antwortete er. »Er hat meine Frau zum Narren gehalten. Sie ist ein dummes Weib. Aber er hat auch noch mich beschimpft. Jetzt sitzt er da und spielt den Richter. Nicht mit mir! Komm, du Hurensohn, komm!« rief er wieder und wollte zum Richter vortreten.
    »Und woher weißt du, daß der Richter wirklich dein Esel ist?« wollte einer der Anwesenden wissen.
    »Er ist einäugig«, antwortete der Bauer bestimmt. Die Leute lachten.
    »Der Esel bist du! Weißt du, daß dieser Richter dich mit einem Wink seines Fingers an den Galgen bringen kann? Sei doch froh, daß er dich nicht gehört hat, du Dummkopf!« Sie warfen den Bauern hinaus.
    Inzwischen war der Richter auf die Unruhe im Saal aufmerksam geworden und fragte nach dem Grund.
    Einer erzählte ihm von dem verrückten Bauern. Der für seine Weisheit berühmte Richter hörte die Geschichte und lächelte. »Laßt den Mann hereinkommen!« befahl er.
    Der Bauer zitterte vor Angst.
    »Hab keine Angst, komm näher«, beruhigte ihn der Richter, und als der Mann ganz nahe bei ihm stand, fragte der Richter leise: »Wieviel war ich damals als Esel wert?«
    »Fünfhundert Piaster, Euer Ehren!« sprach der Mann mit trockener Kehle.
    »Nun, hier sind deine fünfhundert Piaster, nimm sie und geh nach Hause, aber sei so gut und verrate es niemandem hier, sonst kann ich nicht mehr richten.«
    Er gab dem Bauern das Geld, und dieser eilte erleichtert davon.
    Zu Hause angekommen, fragte ihn seine Frau: »Nun, was hast du erreicht?«
    »Was habe ich dir gesagt?« antwortete er. »Der Esel war doch kein gewöhnliches Lasttier. Der Verfluchte saß auf einem schönen Stuhl und richtete über die Menschen. Und wenn ich nicht so klug wäre, hätte er mich an den Galgen gebracht.«
    Das war die letzte Angeberei dieses Mannes, denn von nun an hörte er auf seine Frau und lebte glücklich bis zum Ende seiner Tage.

 
    FATIMA
    oder
    DIE BEFREIUNG DER TRÄUME
     
    In alter Zeit lebte eine arme Witwe mit ihren beiden Kindern, Hassan und Fatima. Ihr Mann, ein armer Holzhauer, war kurz nach der Geburt der Tochter gestorben. So lebte die Frau in Armut und erzog die Kinder in großer Not. Tag für Tag ging sie in das nahe Kloster und half dort bei der Wäsche, in der Küche und im Garten, und des Abends kehrte sie erschöpft nach Hause zurück, knotete ihr kleines Bündel auf und gab Hassan und Fatima das bißchen Essen, das sie aus dem Kloster mitgebracht hatte.
    Als Hassan vierzehn Jahre alt war, wurde die Mutter eines Tages vor Erschöpfung krank. »Mutter«, sagte Hassan, »wir haben nur noch für zwei Wochen Mehl und Salz, Zwiebeln und Kartoffeln. Ich will hinausgehen und mir Arbeit suchen.«
    »Aber mein Sohn, du bist noch ein Kind«, erwiderte die Mutter mit schwacher Stimme. »Bete mit deiner Schwester, damit ich schnell gesund werde und wieder im Kloster arbeiten
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher