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Maerchen aus Malula

Titel: Maerchen aus Malula
Autoren: Rafik Schami
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Doch als er den Bruder an sein Versprechen erinnerte, wollte dieser davon nichts wissen.
    »Lamm?« rief er entsetzt. »Reicht es nicht, daß ich die Amme und das Fest zur Geburt bezahlen mußte? Dein Gebet hat mich ruiniert«, lachte er bitter. »Sei doch froh, daß ich dich dafür nicht blechen lasse.«
    »Gut!« antwortete der wortkarge Farag und wartete auf den Sonntag.
    Er war seit seiner Kindheit nicht mehr in der Kirche gewesen, doch an jenem Sonntag ging er hin. Sein Bruder stand mit den Honoratioren des Dorfes in der ersten Reihe. Farag war ein kräftiger Bursche. Er ging zu seinem Bruder, warf ihn zu Boden und fing an, ihn zu ohrfeigen, während der Pfarrer von der Liebe zum Feind predigte. Die Männer, die in den vorderen Reihen saßen, rannten entsetzt hinzu, um den Störenfried hinauszuwerfen, doch Farag stieß sie zurück und ohrfeigte seinen Bruder weiter. Dann übermannten ihn die Männer. Er aber schrie: »Ich bin erst bei der dreiundzwanzigsten angekommen. Laßt mich!«
    Nach dem Kirchgang wollte Farag sich nicht versöhnen. »Entweder bekomme ich das Lamm, oder ich gebe ihm die restlichen siebenundsiebzig Ohrfeigen!« brüllte er.
    Der Bruder wollte vom Lamm nichts hören, dafür aber Schmerzensgeld für die Ohrfeigen haben.
    Als alle Bemühungen der angesehenen Männer des Dorfes, Frieden zwischen den Brüdern zu stiften, scheiterten, empfahlen sie den Brüdern, zum Kadi nach Damaskus zu gehen. Beide willigten ein und machten sich am nächsten Morgen auf den Weg in die Hauptstadt. Sie wanderten den ganzen Tag, und als es dunkel wurde, erreichten sie Kabun, einen Vorort von Damaskus.
    »Ich habe hier einen angesehenen Freund, bei dem ich übernachten kann. Sieh zu, daß du irgendwo eine billige Absteige findest«, sagte der Bruder.
    »Du weißt doch, ich habe kein Geld. Ich werde vor dem Haus deines Freundes auf dich warten. Geh nur«, antwortete Farag.
    Der Bruder wurde vom reichen Händler herzlich empfangen. Er ließ ihm nicht nur die schmackhaftesten Gerichte und Früchte vorsetzen, sondern unterhielt seinen Gast auch mit den Klängen seiner Laute. Farag hockte auf der Straße, roch den würzigen Duft, hörte die lieblichen Melodien und aß sein trockenes Brot mit den gekochten Malven, die seine Frau ihm als Proviant für die Reise mitgegeben hatte.
    Da trat die Frau des Händlers zu ihm hinaus, lachte und fragte: »Du bist also der unbarmherzige Bruder! Was ißt du da, Mann?«
    »Was willst du von mir? Du siehst es doch selbst!« erwiderte Farag abweisend.
    »Malven?« staunte die Frau. »Kann man so etwas überhaupt essen? Ich muß euch arme Bauern beneiden, was ihr alles erfindet. Ach, wie schön ist doch das einfache Leben!«
    »Laß mich in Ruhe«, brummte Farag.
    »Ich lasse dich nicht, bevor du mir nicht einen Mundvoll Malven gegeben hast. Ich muß sie probieren«, säuselte die Frau.
    »Verschwinde. Meine Frau hat mir nur so viel mitgegeben, daß ich nicht verhungere. Ihr habt genug zu essen!« antwortete er und fing an, seine Brote und den kleinen Topf Malven in sein Bündel einzuschnüren.
    »Ich gehe nicht, bevor du mir nicht einen Mundvoll Malven geschenkt hast. Du lehnst schließlich deinen Rücken an unsere Mauer. Dafür mußt du mir Malven geben, sonst rufe ich meinen Mann«, drohte sie.
    »Ich werde mich nicht mehr an eure Mauer lehnen. Und Malven gebe ich dir auch nicht, selbst wenn du stirbst«, erwiderte Farag und rückte von der Mauer ab.
    Die Frau fing an zu schreien: »Oh, mein Mann, der Fremde wünscht mir den Tod!« Sie schrie so laut, daß ihr Mann herausgerannt kam, sie hineinschickte und zu Farag trat. »Was erlaubst du dir, dummer Bauer?« brüllte er.
    »Verschwinde!« sprach Farag mit trockener Kehle und schaute in die Ferne. Doch der Händler gab sich nicht zufrieden. »Willst du eine Tracht Prügel? Du sitzt im Schatten meiner Mauer und beleidigst mich. Weißt du, daß ich drei Typen wie dich zum Frühstück verspeisen kann?« sprach der Mann und beugte sich über Farag.
    »Du bist betrunken, Mann, geh nach Hause!« entgegnete dieser.
    »Hört ihr Leute, was der Lausige will. Er will mich nach Hause schicken. Mich, den Händler Hamad Ibn Hamdan, will dieser Feigling herumkommandieren. Weißt du, daß der Sultan nur vor Gott, den Löwen und der Hamdansippe Angst hat?« brüllte er und schlug mit seiner schweren Hand auf die Schulter des schweigsamen Bauern.
    »Ich weiß es nicht, Mann, laß mich in Frieden«, sprach Farag leise und beschämt, weil immer mehr
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