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Männerstation

Männerstation

Titel: Männerstation
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Sechsbettzimmern enge Achtbettzimmer, und wo früher acht Patienten lagen, drängten sich jetzt zehn oder zwölf Betten so eng aneinander, daß man kaum zwischen ihnen durchkam.
    Verwaltungsdirektor Dr. Berg sagte nichts dazu. Er meldete nur nach oben: Die Kapazität des Krankenhauses ist um zwanzig Prozent gesteigert worden ohne zusätzliche Neubauten. Er verschwieg, daß die Patienten in den Zimmern wie Sardinen in der Büchse lagen, daß immer ein Fenster geöffnet bleiben mußte, weil nach einer Stunde die Luft dick wie zum Schneiden war, und daß es zwischen den Betten nur noch Gassen gab, durch die man seitlich gehen konnte. Ministerialdirektor Dr. Haller kam wieder hinaus in die Krankenanstalten, um dieses Wunder zu besichtigen. Der neue Chefarzt führte ihn herum. Nach der Besichtigung saß Dr. Haller im Zimmer Dr. Bergs und rauchte eine Zigarre.
    »Na also«, sagte er zufrieden, »man sieht doch, daß es geht! Wenn ich an Morus denke, der nur schimpfen konnte …«
    Dr. Berg legte seine Zigarre auf den Aschenbecherrand. »Möchten Sie in einem solch vollen Zimmer liegen, Herr Haller?«
    »Sie stellen da eine sehr indiskutable Frage.«
    »Warum soll sie aber für die Kassenpatienten diskutabel sein? Oder stehen Sie auch auf dem Standpunkt: Mief heilt?!« Dr. Berg legte beide Hände auf den Tisch, als müsse er sie unter Kontrolle halten. »In einem Privatsanatorium hat man natürlich Platz, ein Einzelzimmer mit Balkon, eine nette Schwester, eine eigene Dusche, ein paar Ärzte, die Salto schlagen, wenn man sie ruft …«
    »Man bezahlt ja auch dafür!«
    »Und der kleine Mann? Bezahlt er nicht auch seine Krankenkasse? Behält man ihm nicht auch Steuern ein, einfach weg vom Lohn oder Gehalt, ohne ihn zu fragen?! Der Staat gibt dir dafür soziale Sicherheit, heißt es, wenn man fragt, wo die Gelder bleiben. Und wenn er diese soziale Sicherheit in Anspruch nehmen will, stopft man ihn in ein Zimmer, in dem er kaum atmen kann, und sagt zu ihm: Nun beeil dich aber und werd gesund, draußen warten schon wieder andere auf dein Bett.«
    Ministerialdirektor Dr. Haller sah Dr. Berg kritisch an. »Sie sind schwer infiziert, mein Lieber«, sagte er sarkastisch. »Bazillus Morus impertinans … Sie sollten etwas dagegen tun …« Er legte seine Zigarre ebenfalls ab und erhob sich. »Es freut mich, daß jetzt Initiative im Hause ist. Ich glaube, wir haben mit dem neuen Chefarzt einen guten Griff gemacht.«
    »Sicherlich! Er gibt Ruhe.«
    Dr. Haller nickte. »Sehen Sie … und das ist das Wichtigste! Männer, die Ruhe halten! Die erkennen, daß der Staat eines nach dem anderen tun muß, und das Wichtigste zuerst.«
    »Die Volksgesundheit!«
    Dr. Haller schüttelte den Kopf. »Sie sind kein Politiker, lieber Berg. Verwalten Sie weiter Ihren Aufgabenbereich so gut wie bisher. Und bekämpfen Sie den Bazillus Morus! Diese Krankheit ist unerwünscht.«
    »Ich verstehe.« Dr. Berg brachte den Ministerialdirektor bis zur Tür des Büros. »Eine Demokratie ist nur so lange eine Regierung des Volkes, solange die Regierung nicht vom Volk kritisiert wird!«
    Ohne Antwort verließ Dr. Haller das Verwaltungsgebäude und stieg in seinen großen, schwarzglänzenden Regierungswagen.
    *
    Mitte Dezember, bei einem Schneetreiben über Bremen, machte die ›Usambara‹ von der Pier los und fuhr hinaus in die offene See. Die Musiker verzichteten darauf, auf Deck das übliche ›In der Heimat, in der Heimat, da gibt's ein Wiedersehen‹ oder ›Muß i denn zum Städtele hinaus …‹ zu spielen. Sie saßen im großen Speisesaal auf dem Musikpodium und spielten eine Gershwin-Melodienfolge. Nur wenige Abschiednehmende standen an der Ablegestelle und winkten dem scheidenden Schiff nach; der Schnee peitschte in die Gesichter und verklebte die Augen.
    Prof. Dr. Morus stand auf Deck A unter einem Glasdach und sah hinüber auf das hinter weißen Flocken versinkende deutsche Land. Wehmut überfiel ihn, so von einem Stück Erde gehen zu müssen, auf dem er geboren worden war und das über sechzig Jahre seines Lebens mitgestaltet hatte. Nun verließ er diese Heimat, verbittert und unsagbar traurig. Wie erwartet, nahm niemand Notiz von dieser kleinen Tragödie. Wer ist denn schon ein Prof. Morus im Spiel der großen Kräfte? Morus, der Mann, der offen aussprach, daß viele der kleinen und mittleren Krankenhäuser Deutschlands reformbedürftig waren und daß es ein Verbrechen am Kranken sei, wenn man die Schwestern wie Handlanger bezahlte und behandelte …
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