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Maennerschlussverkauf - Roman

Maennerschlussverkauf - Roman

Titel: Maennerschlussverkauf - Roman
Autoren: Natascha Sagorski
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dringend eine neue Mitarbeiterin gesucht, und da ich mich als Beinahe-Juristin zumindest mit dem Vermeiden von einstweiligen Verfügungen ganz gut auskannte, schaffte es Leonie, ihre Chefin (angeblich ein richtiges Biest) tatsächlich davon zu überzeugen, mir eine Chance zu geben. Meinen Einwand, dass ich noch nie als Journalistin gearbeitet hatte, schoss Leonie direkt in den Wind: »Die checken doch gar nicht, dass du keine Ausbildung in der Branche hast, da arbeiten eh nur Flaschen.« Als ich immer noch zögerte, schmetterte sie mir die entscheidenden Sätze durch die Leitung: »Du brauchst jetzt einen Neuanfang, Anna! Und dein Jurastudium hast du immer gehasst. Mach einen Cut, komm nach München, schneid dir die Haare ab, werde ein neuer Mensch und lass den Mistkerl einfach hinter dir. Du wirst sehen, das ist das Beste, was du tun kannst!«
    Na ja, was soll ich sagen, ich habe das Studium wirklich immer gehasst. Und irgendwie wusste ich, dass Leonie recht hatte. Mein ursprünglicher Lebensplan war jedenfalls gerade so gründlich gescheitert, dass die von Leonie vorgetragene Version im Moment irgendwie meine einzige Alternative war. Und so schlecht klang sie (abgesehen vom Haareschneiden) ja auch nicht. München fand ich schon immer toll, Fernsehen schaue ich auch gerne, und Leonie ist mir der drittliebste Mensch auf Erden. Nachdem meine Mutter sich als heiratsgeile, illoyale Marcel-Unterstützerin und mein Verlobter sich als elendiger Mistkerl geoutet hatten, sogar der liebste. Ganz ehrlich, ich glaube, hätte Leonie mir vorgeschlagen, morgen auf einem Greenpeace-Boot voller Walschützer vor der japanischen Küste anzuheuern, hätte ich selbst das getan. Ich wollte einfach nur weg aus Augsburg, weg von meinem Leben, weg von Marcel. Da der Fernsehjob in München erst mal leichter zu realisieren war als ein hypothetischer Umweltaktivistentrip nach Asien, fiel mir die Entscheidung nicht wirklich schwer.
    Deswegen stehe ich jetzt also auf dem Gang eines Regionalzuges (mittlerweile bin ich umgestiegen und mit mir anscheinend die gesammelte Pendlerarmee Süddeutschlands) vor einer besonders übelriechenden Toilette und versuche mit angehaltenem Atem das Gleichgewicht zu halten, ohne gleichzeitig blau anzulaufen. Weil die ganze Zeit einer meiner beiden Koffer (und manchmal sogar beide gleichzeitig) gegen meine Schienbeine poltern, schmerzen die mittlerweile so sehr, dass ich bei jedem Ruckeln laut pusten muss, um nicht aufzujaulen. Obwohl der Zug heftiger schwankt als ein altersschwaches Kamel, bewegt er sich leider auch nicht viel schneller fort als ein lebendiges Wüstenschiff kurz vor dem Ruhestand und bleibt noch dazu alle fünf Minuten stehen.
    Mittlerweile ist es 09.06 Uhr, und ich müsste seit sechs Minuten in der Redaktion sein. »Sei bloß pünktlich! Verena hasst Zuspätkommer!«, hallt mir Leonies eindringliche Ermahnung in den Ohren nach. Oh Gott, wenn sich der Zugführer nicht bald mal am Riemen reißt und endlich Gas gibt, wird mein neues Leben nicht viel weniger dramatisch starten, als das alte geendet hat.
    Während ich meiner zunehmenden Panik, vermischt mit tiefem Selbstmitleid, immer weiter verfalle, spüre ich viel zu deutlich, wie mir ein kalter Schweißtropfen den frisch eingecremten Rücken hinunterläuft und auf Hüfthöhe in meiner weißen Bluse versickert. Als ich gerade versuchen will, den Stoff der Bluse möglichst so hinzuzupfen, dass er nicht gleich durchnässt wird, rammt mir ein Mittfünfziger im Anzug seinen Laptop in die Rippen. Um vor lauter Anspannung und plötzlichem Schmerz (zur Abwechslung mal oberhalb der Schienbeine) nicht loszuheulen und somit auch noch den Rest meines verschwitzten Make-ups zu ruinieren, drehe ich mich mit leidverzerrtem Gesicht zur Seite, woraufhin sich eine grüngesichtige Businessfrau auf meinen Busen übergibt.
    »Ruhig bleiben, Augen schließen, Tränen zurückdrücken und bis drei zählen«, wiederhole ich mein Notfallmantra aus guten, alten Festivalzeiten und beschließe, dass dies alles nur ein böser Traum sein kann . Mein Verlobter kann mich gar nicht auf unserer Couch betrogen haben, während ich nichtsahnend das Hochzeitskleid anprobiert habe, der Großteil meiner mühsam zusammengeshoppten Lieblingsgarderobe kann gar nicht in zwei hartschaligen Koffern neben mir vor sich hin muffeln. Ich kann in Wirklichkeit eigentlich nur an einem einsamen Traumstrand in der Karibik sein und mich nicht in einem überfüllten Zugabteil befinden, während mir der
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