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Maenner wie Tiger

Maenner wie Tiger

Titel: Maenner wie Tiger
Autoren: Max Catto
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Gesichter glänzten vor Schweiß – abgerackert sind sie, dachte der Oberst, erschöpft bis auf die Knochen. Er erhob sich gähnend und hörte den Holländer mit matter Stimme sagen: »Ich war nicht dabei. Ich sah nichts. Als es passierte, befand ich mich am andern Ende des Camps.«
    Und so wird es weitergehen, sagte sich der Oberst. Den Mann aber fragte er: »Ist das alles, was Sie darüber zu sagen haben?«
    »Ja, Herr Oberst.«
    »Mord und Totschlag – Sie aber sahen nichts?«
    »Ich kümmere mich nur um meine eigenen Sachen.«
    »Ich könnte es zu meiner Sache machen, mich auch um Ihre Sachen zu kümmern. Sie stehen unter Eid, verstanden? Nächster Zeuge!«
    Der Oberst sah den Vizepräsidenten erleichtert aufatmen. (Das geht sogar besser, als anzunehmen war, nicht wahr? Man wird in den Aktenschränken des Ministers nichts begraben müssen.) Er hörte die Zeugen, einen nach dem andern, und dachte mit verhaltener Wut: Den Minister also, den schmiert ihr! Der kriegt sein Geschenk.
    Hitze strömte herein wie aus einem Backofen. Sein Blick ging wieder zum Fenster hin. Die wachsamen Augen des Aasgeiers, der auf den Ast zurückgekehrt war, trafen sich mit seinen. Er öffnete nun die restlichen Knöpfe seiner Bluse, befreit sprang noch mehr roßhaarartige Wolle heraus. Er verfiel in leichtes Dösen und hörte die Antworten der Zeugen nur aus der Ferne. »Ich weiß nichts, ich habe mich herausgehalten.« – »Ich verabscheue Gewalt. Ich habe mich nicht beteiligt.« Und mit fast klassischer Frechheit – es war ein Franzose: »Ich stehe unter einem Schock. Ich erinnere mich an nichts.«
    Sie kosten mich nur Zeit, dachte der Oberst. Diese Leute haben einen ungeheuren Schuldkomplex. Aber ich weiß, wie ich den kuriere. Dem Franzosen sagte er: »Das Loch im Gedächtnis scheint hier eine ansteckende Krankheit zu sein.«
    »Pardon?«
    »Beim Militär behandeln wir diesen Zustand auf unkonventionelle Weise.«
    »Mon Colonel , mein Gehirn ist ein unbeschriebenes Blatt.«
    »Ihr Gewissen auch? Aber das tut nichts zur Sache. Sie dürfen jetzt gehen.«
    Der Mann ging, und der Oberst sagte gähnend zum Ankläger: »Ich habe genug gehört.«
    »Der siebente Zeuge …«
    »… weiß nicht mehr als die anderen. Sie sind wie die drei Affen«, sagte der Oberst ironisch und bedeckte mit den Händen erst seine Augen, dann seine Ohren, dann: den Mund. Der Vizepräsident nickte zustimmend und erhob sich. Nein, dachte der Oberst, so leicht mach ich’s ihm nicht! Er sagte: »Jetzt übernehme ich das Zeugenverhör.« Augenblickslang schien der Vizepräsident verblüfft, dann setzte er sich.
    »Ich verstehe nicht recht«, versuchte er einzuwenden.
    »In Miami wartet Ihre Jacht auf Sie, auf mich wartet meine Frau. Ich werde die Sache in Schwung bringen.«
    »Ist denn das notwendig?«
    »Senhor, wir müssen zu einem Ergebnis kommen«, sagte der Oberst höflich und entschieden.
    »Warum eigentlich?«
    »Offen gestanden, weil ich es wünsche. Und, wenn ich genau sein will, weil ich hier der Vorsitzende der Untersuchungskommission bin.«
    Zum erstenmal schien der Vizepräsident leicht beunruhigt.
    Mit einem Blick überflog der Oberst die Liste der Zeugen. »Den da und den da, den auch und noch den«, sagte er diktatorisch zum Ankläger und unterstrich mit dem Daumennagel vier Namen. »Die will ich vernehmen.«
    »Den Alten? Der liegt ja im Lazarett drüben.«
    »Mit Rücksicht auf sein Alter und auf seinen schlechten Gesundheitszustand wird sich die Untersuchungskommission zu ihm begeben.«
    »Er liegt im Sterben!«
    »Je eher wir ihn verhören, desto besser.«
    Langsam schritt der Oberst hinaus und beachtete nicht den empörten Ausruf des Vizepräsidenten. Befehlend rief er zurück: »Lassen Sie die anderen Zeugen holen!« Er ging an dem Mann vorbei, der so verlassen beim Bohrturm saß, und sah ihn genau an. Sein Körper war kräftig gebaut, das Gesicht hager, unrasiert, der Blick verstört. Wäre er zu sprechen bereit, könnte er uns die Sache erleichtern, dachte der Oberst. Doch der Mann zog mit dem Fuß Kreise in den Staub und blickte nicht auf.
    Wo sich die Holzleisten gespalten hatten, sickerte Sonnenschein ins Lazarett. Die grellgelben Strahlen schienen dessen einzigen Patienten zu faszinieren, diesen alten Mann, der da auf einem Feldbett in der Ecke lag. Der Oberst dachte: Er will sie genießen, solange noch Zeit ist. Da bemerkte er, daß sich der Alte zur Seite gedreht hatte und zum Fenster hinaussah. Seine Augen suchten nicht das
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