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Maedchen mit begrenzten Moeglichkeiten

Maedchen mit begrenzten Moeglichkeiten

Titel: Maedchen mit begrenzten Moeglichkeiten
Autoren: Muriel Spark
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daran erinnert, daß sie keine festen Gegenstände in die Toiletten werfen sollten, daß die Rohrleitungen in alten Häusern äußerst kompliziert seien und wie schwierig es heutzutage sei, einen Klempner zu bekommen. Sie wurden auch daran erinnert, daß nach einem Tanzabend im Club alles wieder an Ort und Stelle gerückt werden sollte. Wie die Leiterin bemerkte, fehlte ihr jedes Verständnis dafür, daß einige Mitglieder einfach mit ihren Freunden in Nachtclubs zogen und alles den anderen überließen.
    Selina hatte diese Belehrungen alle versäumt, da sie eben nie an solchen Abenden zum Essen dageblieben war. Von ihrem Fenster aus konnte sie das Stück Flachdach sehen, in das sich der Club mit dem benachbarten Hotel teilte und das geradezu ideal zum Sonnenbaden gewesen wäre. Es lag mit dem obersten Stock auf gleicher Höhe und in einigem Abstand hinter den Schornsteinen. Von den Schlafzimmern aus konnte man das Dach an keiner Stelle erreichen. Aber eines Tages stellte sie fest, daß es vom Toilettenfenster aus zugänglich war. Dieses Fenster war nur ein schmaler Spalt, dadurch noch schmaler geworden, daß man die Wand unterteilt hatte, in die es eingelassen war, als – zu irgendeinem Zeitpunkt in der Geschichte des Hauses – die Waschräume eingerichtet wurden. Man mußte auf den Toilettensitz klettern, um das Dach zu sehen. Selina maß das Fenster aus – es war 18 Zentimeter breit und 36 Zentimeter hoch und hatte nur einen Flügel.
    «Ich glaube, ich käme durch das Klofenster», sagte sie zu Anne Baberton, die ihr gegenüber wohnte.
    «Warum willst du denn durch das Klofenster?» fragte Anne.
    «Es führt aufs Dach hinaus. Vom Fenster aus ist es nur ein kleiner Sprung.»
    Selina war ungewöhnlich schlank. Gewicht und Körpermaße spielten eine große Rolle im obersten Stock. Die Möglichkeit, sich seitwärts durch das Toilettenfenster zu zwängen – oder auch nicht –, würde von nun an einer der Tests sein, mit denen sich nachweisen ließ, daß die Ernährungsstrategie des Clubs nur unnötig dick machte.
    «Schierer Selbstmord», meinte Jane Wright. Sie war verzweifelt wegen ihrer Dicke, verbrachte viel Zeit damit, sich vor jeder Mahlzeit zu fürchten und Entschlüsse zu fassen, was sie essen und was sie stehenlassen sollte, um dann wieder zu Gegenentschlüssen zu kommen angesichts der Tatsache, daß ihre Arbeit beim Verlag im wesentlichen eine geistige sei, was bedeutete, daß ihr Gehirn besser ernährt werden müsse als das der meisten Leute. Von den fünf Bewohnerinnen der obersten Etage gelang es nur Selina Redwood und Anne Baberton, sich durch das Klofenster zu zwängen, und Anne schaffte es auch nur nackt und nachdem sie sich den Körper mit Margarine eingeschmiert hatte. Nach dem ersten Versuch, bei dem sie, als sie heruntersprang, sich den Knöchel verstaucht und auf dem Rückweg die Haut abgeschürft hatte, meinte Anne, daß sie in Zukunft, um die Prozedur zu erleichtern, besser ihre Seifenration benutzen wollte. Seife war ebenso streng rationiert wie Margarine, aber kostbarer, und Margarine machte zudem dick. Gesichtscreme wiederum war zu teuer, um an das Fensterabenteuer verschwendet zu werden.
    Jane Wright konnte nicht einsehen, warum Anne sich solche Sorgen machte wegen der vier Zentimeter, die sie mehr an Hüftumfang hatte als Selina, wo sie doch ohnehin schon schlank war und ganz sicher heiraten würde. Sie stand auf dem Toilettensitz und warf Anne einen verschossenen grünen Morgenrock hinaus, damit sie sich ihn um ihren schlüpfrigen Körper schlingen konnte. Wie es da draußen sei, wollte sie wissen. Die beiden anderen Mädchen vom obersten Stock waren an diesem Wochenende fort.
    Anne und Selina schauten an einer Ecke über den Rand des flachen Daches, wo Jane sie nicht sehen konnte. Als sie zurückkehrten, berichteten sie, daß sie im rückwärtigen Garten Greggie gesehen hätten, die zwei neue Mitglieder mit dem üblichen ersten Rundgang durch Gebäude und Anlagen beglückt habe. Sie hatte ihnen die Stelle gezeigt, wo die Bombe eingeschlagen hatte, die dann nicht explodiert war und später von einem Räumkommando entfernt werden mußte, eine Aktion, bei der alle das Haus verlassen mußten. Greggie hatte ihnen auch die Stelle gezeigt, wo ihrer Ansicht nach immer noch ein Blindgänger lag.
    Die Mädchen manövrierten sich wieder ins Haus zurück.
    «Greggie und ihre Sensationen», Jane hätte losprusten mögen. «Und heute abend auch noch Käseauflauf», setzte sie hinzu, «was meint ihr
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