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Madru

Madru

Titel: Madru
Autoren: Frederik Hetmann
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anderen auch … oder?«
    Jessach spürte, wie er nickte.
    »Hast du Münzen?« fragte der Hundemensch lauernd. »Was für Münzen?«
    »Nun eben die Münzen, die nötig sind«, erwiderte das Wesen und schüttelte unwillig seinen Schädel.
    Jessach wollte in die Tasche greifen. Er fand keine Taschen in seinen zerfetzten Lumpen.
    »Komm her«, sagte der Hundemensch und streckte eine behaarte Tatze vor. Er riß Jessach damit die Unterlippe herab und fuhr ihm in den Mund. Jessach war es, als müsse er sich erbrechen. Der Hundemensch trat zurück.
    »Keine Münzen«, schnappte er.
    »Was hat das alles zu bedeuten?« hörte sich Jessach sagen.
    »… daß es noch Schulden gibt, die beglichen werden müssen, ehe du hinüber darfst.«
    »Was ist dort drüben überhaupt?« fragte Jessach. »Muß ich denn hinüber?«
    Der Hundemensch gab ein Geräusch zwischen Lachen und Jaulen von sich. »Willst du etwa hier bleiben«, knurrte er, »warte …« Plötzlich war er ganz und gar zu einem Hund geworden. Der scharrte im Sand, und was er ausgrub, war eine Trommel. Der Hund kauerte sich auf seine Hinterbeine. Nun schien er Jessach doch wieder ein Mann mit einem Hundeschädel. Das Wesen hielt die Trommel zwischen die Schenkel gepreßt und sprach: »Ich werde sie rufen. Dann wird man ja sehen.«
    Mit den Pfoten schlug er die Trommel. Der Rhythmus schien Jessach unter die Haut zu dringen, bis er merkte, daß er gleich mit dem Schlag seines Herzens war.
    Unwillkürlich blickte Jessach zum Mond, dessen volle Rundung jetzt nur noch an einem Punkt die Linie des Horizontes berührte. Zuerst mochte er dem, was er da sah, kaum Glauben schenken. Der Mond tat sich auf … Gestalten, deren Gesichtszüge er zuerst nur erahnte, traten aus dem Mond heraus, kamen über die Lavaebene immer näher.
    Da war jener Pachtbauer aus Skäne, den er samt seiner Familie hatte von Haus und Hof jagen lassen, als der Mann das zweite Jahr seinen Zins nicht zahlen konnte.
    Da war ein schönes Mädchen, Etain, die Tochter des Müllers aus dem Dorf, das zu seinem, Jessachs, Besitz gehörte. Als junger Mann hatte er sie verführt, und als sie ihn beschuldigte, hatte er sie mit dem Neugeborenen als Hexe verbrennen lassen. Er hatte die alte Geschichte längst vergessen oder hatte jedenfalls Jahre nicht mehr daran gedacht, aber jetzt, als Etain mit dem Kind auf dem Arm aus der grau-schwarzen Ebene auf ihn zukam, fiel sie ihm in allen Einzelheiten wieder ein.
    Da war auch der junge Bursche, der in seinem Forst gewildert hatte. Er trug einen Rehbock über der Schulter, so wie er ihn damals getragen hatte, aber Jessach wußte auch, daß unter dem Fell des Tieres sich blutige Striemen über den Rücken des Mannes zogen. Er hatte damals den Wilderer selbst bestraft.
    Zwei Kompanien Soldaten marschierten hinter dem Jungen mit dem Rehbock in Reih und Glied. Männer, die während des Feldzugs gefallen waren, den er für den König in Norge geführt hatte. Einen großen Sieg hatte er dort errungen und war dafür mit einer Grafschaft belohnt worden.
    Und abermals kamen Frauen, alte Frauen, Mütter mit mehreren Kindern, die ängstlich ihre Röcke gefaßt hielten, junge Mädchen mit rotgeränderten entzündeten Augen, die Kleider aufgerissen, die Brüste nackt, die Haare zerrauft. Schließlich ein alter Mann. Ja Weh. Auch der?
    Es war auch auf diesem Feldzug in Norge gewesen. Ein Holzfäller, der sich gut auskannte in der Gegend, in der sich die Schlacht abgespielt hatte. Sie hatten ihn mit einem Goldstück verlockt. Da war er mitgekommen, hatte sie geführt, in den Rücken des feindlichen Heeres. Als die Schlacht gewonnen war, waren sie noch einmal an seiner Hütte vorbeigekommen. Er hatte sich an einem Apfelbaum in seinem Garten erhängt. Die Frau kam aus der Hütte gestürzt und hatte ihnen das Goldstück vor die Hufe ihrer Pferde geworfen.
    Die Trommel dröhnte.
    Jessach schlug die Hand vor die Augen. Er wußte, wer da noch alles kommen werde.
    Das Donnern der Trommel blieb.
    »Nein«, schrie er auf, »nein …!«
    Er war wach. Er sprang von seinem Lager auf. Das Mondlicht schien hell in die Küche. Es war vorbei. – Nein … doch nicht. – Das trommelte immer noch. – Wo? – Es war nicht im Traum. – Das machte es noch schlimmer.
    Dieses Trommeln war unerträglich.
    Es mußte aufhören. Wenn so ein Trommler tatsächlich die Macht besaß, all jene zu beschwören, deren Tod er verschuldet hatte! Er spürte, daß sein Gesicht schweißüberströmt war. Er rief nach der Wache.
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