Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Madru

Madru

Titel: Madru
Autoren: Frederik Hetmann
Vom Netzwerk:
Fratzen hatte versinken lassen. Der Sergeant hatte fünf Soldaten mitgebracht.
    »Damit wir mit dem Zählen rascher vorankommen«, erklärte er. Dann wies er die Männer an, den schweren Querbalken, der das Tor verschloß, hochzustemmen.
    »Herr, was ist das?« hörte Jessach ihn sagen, als er mit der Fackel voran den hohen, düsteren Raum betrat.
    Schnell begriff er, was der Sergeant meinte. Der Schuppen war völlig leer. Jessach fuhr es kalt über den Rücken. Wütend rannte er vorwärts, bis er die Wand auf der anderen Seite erreichte. Leer, völlig leer. Er kam sich vor wie ein Kind, das Blindekuh spielt. Er sah sich um. Kein anderer Eingang. Kein Fenster. Keine Dachluke.
    »Begreift Ihr das?« fragte Jessach mit brüchiger Stimme den Sergeanten, nachdem sie alles abgesucht hatten und wieder auf dem Hof standen.
    Sie befragten die beiden Wachtposten. Sie befragten den Mann, der bei dem Feldzeichen stand. Keinem war etwas Verdächtiges aufgefallen. Keiner konnte sich daran erinnern, verdächtige Geräusche gehört zu haben.
    In Jessach stieg die Wut hoch. Er schaute noch einmal drinnen im Schuppen nach. Nichts.
    »Sie haben sie fortgehext«, sagte der Sergeant ratlos.
    »Unsinn«, sagte Jessach, »ebenso gut hätten sie dann ja auch uns forthexen können. Sie müssen sich trotz der Wachen Zugang zum Schuppen verschafft und ihn ausgeräumt haben.«
    Eine andere Erklärung wollte er nicht gelten lassen.
    »Das wird die Waldmenschen teuer zu stehen kommen. Morgen brechen wir auf zu ihrem Herrscher und holen uns den Tribut.
    Aber auf dem Rückweg werden wir hier wieder vorbeikommen. Dann werden sie uns tausend Felle zusätzlich geben.«
    »Was nun, Herr?«
    »Ich wette mit Euch, daß ich mir meinen Bärenschinken nicht werde forthexen lassen«, sagte Jessach. »Sorgt dafür, daß unsere Leute Quartier beziehen. Morgen haben wir ein langes Stück Weg vor uns bis zu den Schwarzen Seen. Und stellt Wachen aus. Eine Stunde vor Morgengrauen soll man mich wecken.«
    »Wir haben Vollmond heute nacht«, sagte der Sergeant.
    »Ja und?« fragte Jessach. Er trat von einem Fuß ungeduldig auf den anderen.
    »Man sagt, Herr …«, der Sergeant stockte.
    »Nun was denn … beeilt Euch, wenn Ihr mit mir noch etwas besprechen wollt. Ich habe Hunger, und außerdem bin ich todmüde.«
    »Herr, ich meine immer noch, wir sollten dieses verdammte Dorf vielleicht doch besser verlassen.«
    Er sprach fast flüsternd, so als fürchte er sich vor seiner eigenen Stimme, und Jessach kam es vor, als ob die Fratzen dort oben am Haus grinsten.
    »Man sagt, daß bei Vollmond ihr Zauber besonders mächtig ist.« »Kümmert Euch nicht um den Mond, sondern tut, was ich Euch gesagt habe«, erwiderte Jessach. Die Worte klangen schroffer als es ihm eigentlich lieb war. Er wandte sich ab und ging ins Haus hinein.
    Jessach lag auf einem Lager aus Strohsäcken und Decken, das ihm der Dolmetscher in der Küche vor dem Herd bereitet hatte. Er hatte unmäßig viel vom Bärenschinken gegessen, der würzig nach Wacholder schmeckte. Auch Met hatte der Dolmetscher aufgetrieben. Das Lager, obwohl auf den nackten Dielen errichtet, erwies sich als weich und bequem. Vom Met hatte Jessach einen leichten Rausch.
    Er war noch einmal zum Fenster getappt, um sich zu vergewissern, daß draußen noch, wie befohlen, ein Wachtposten stand. Er sah den Mann im Zwielicht auf- und abgehen. Direkt unter der Fratze, schoß es ihm durch den Sinn. Für einen Moment war er versucht gewesen, den Mann zu warnen. Gleich darauf aber war ihm der Einfall lächerlich und als seinem Ansehen abträglich vorgekommen.
    Also streckte er sich wieder auf seinem Lager aus. Er nahm noch wahr, wie das Mondlicht in einer breiten Bahn durchs Fenster hereinfloß, auf das er von seinem Schlafplatz hinsah. Dann fielen ihm die Augen zu, und er versank in tiefen Schlaf.
    Er wußte nicht, ob es Traum war oder Wirklichkeit. Er wußte nicht, wieviel Zeit vergangen war. Er befand sich jetzt in einem Raum, von dem er ahnte, daß es dort keine Zeit gab, und in dem er mit dem Gefühl von Angst und Unsicherheit, das ihn den ganzen Tag über nicht verlassen hatte, allein war. Der Raum hatte keine Begrenzung. Er war durchweht von einem Wind, der Ruß mit sich fortwirbelte. Es schien ihm zuerst, als befinde er sich in dem Schuppen, wo sie die Fellbündel gefunden hatten. Das war ja wohl nicht möglich. Er war doch nicht aufgestanden. Er hatte sich schlafen gelegt. Aber schlief er denn wirklich? Er streckte die Hand aus.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher