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Made in Germany

Made in Germany

Titel: Made in Germany
Autoren: Kaya Yanar
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Da kann ich auch eine laufende Kettensäge an mein Ohr halten. Wenn ich aus der Disco nach Hause komme, will ich mich mit einer Frau ins Bett legen, und nicht mit einem Tinnitus!
    Ranjids Mutter kennt die Gefahren von zu lauter Musik: Bei seinem allerersten Disco-Besuch musste er deshalb riesige Ohrenschützer anlegen, wie sie sonst nur Bauarbeiter tragen. Das kam natürlich gerade bei den Mädchen nicht besonders gut an. Er flehte seine Mama an, die peinlichen Dinger beim nächsten Mal nicht wieder tragen zu müssen. Aber seine Mutter bliebt hart und sagte: „Dann musst du sie halt verstecken, Ranjid!” Das tat er auch. Seitdem weiß Ranjid, dass die Mädels eins noch alberner finden als Ohrenschützer: nämlich Ohrenschützer mit einer Schalmütze darüber.

    Was ich in Discotheken oder Clubs außerdem nicht leiden kann, sind die öffentlichen Toiletten. In der Disco pinkeln zu gehen ist superätzend. Die Frauen haben es gut: Die haben Kabinen, in die sie sich zurückziehen können. Niemand guckt ihnen zu. Zumindest nicht in der Klokabine. Wer in der Kabine einer Seilbahn schon mal die Hosen runtergelassen hat, wird eine andere Erfahrung gemacht haben.
    In Männertoiletten hingegen gibt es Pissoirs. Von allen Seiten gut einsehbare Pissoirs. Da macht die Bezeichnung „öffentliche Toiletten” endlich einmal Sinn. Gut, es gibt auch bei den Jungs Kabinen, aber egal, wie groß der Club ist, es sind nie mehr als zwei: eine defekt und eine besetzt!
    Also bin ich hin und wieder gezwungen, Pissoirs zu benutzen. Was mich dabei stört, sind die Blicke meiner Nebenleute. Männer geben es nicht zu, aber die gucken. Alle! Sie sind neugierig, wie der andere untenrum gebaut ist. Ich muss in der Hinsicht Vergleiche mit anderen nun wirklich nicht scheuen! Trotzdem habe ich folgende Horrorvorstellung: Ich stehe mit 14 anderen Männern vorm Pissoir in der Reihe. Plötzlich pfeift mein Nebenmann anerkennend durch die Zähne, und die zwölf anderen stürmen auf mich zu, um auch mal zu gucken. Einfach peinlich!
    Um neugierige Blicke zu verhindern, stelle ich mich, wenn es eben geht, immer an das letzte Pissoir. Dann bin auf der einen Seite schon mal vor Blicken sicher, weil nur noch ein Spanner neben mir Platz hat. Und trotzdem fühle ich mich total beklommen. Es kommt übrigens auch nichts raus, wenn ich das Gefühl habe, jemand schaut mir zu. Allein das plätschernde Geräusch wäre mir peinlich. Darum konzentriere ich mich,
starre stoisch die Wand an und warte, bis mein Nachbar abrauscht. Was er natürlich nicht tut, weil es ihm genauso geht.

    Nach zehn Minuten fange ich mit Entspannungstechniken an: Ich denke an einen Springbrunnen, an einen Rasensprenger, an die Niagarafälle … und wenn dann endlich was kommt und ein leises Plätschergeräusch den Raum erfüllt, bin ich unheimlich erleichtert. Peinlich ist mir das Geräusch natürlich trotzdem. Ich greife dann zu irgendeiner blöden Ausrede und sage Dinge wie: „So ein Mist, jetzt fängt es an zu schütten, und ich hab keinen Schirm dabei!”
    Am schlimmsten ist es, wenn Türken neben mir stehen. Türken stehen nie vor dem Pissoir, sondern mitten- drin . Und sie schauen auch nie nach unten auf ihr Ding, sondern ihrem Nebenmann immer direkt in die Augen.
Wer zuerst klimpert hat verloren. Ich halte diesen Blicken meistens sehr lange stand. Aber irgendwann – manchmal nach zwei Minuten, manchmal erst nach einer Stunde – schweift mein Blick versehentlich nach unten , und sofort höre ich von der Seite: „Was guckst du?”

    Ich bin froh, dass ich die Disco-Abende meiner Jugend in einer Stadt wie Frankfurt verbringen konnte. Meine Eltern hätten ja auch aufs Land ziehen können. Sind sie aber Gott sei Dank nicht. Sicherlich sind einige Dinge in meiner Jugend nicht optimal gelaufen, aber auf dem Land wäre alles viel schrecklicher gewesen. Land-Discos sind hart, sie sind die gerechte Strafe Gottes dafür, dass Landbewohner keinen Parkausweis brauchen.
    In Land-Discos müssen die Jugendlichen heute noch auf Lieder wie „Where the streets have no name” oder „Live is life” tanzen, weil seit 1982 niemand mehr in der Stadt war, um eine neue Platte zu kaufen. Die Jungs trinken dort allen Ernstes noch Batida de Coco, und mit den meisten Mädchen, die man anbaggert, ist man
direkt verwandt. Aber was das Schlimmste ist: Weil man mitten in der Nacht noch mit dem Auto die 34 Kilometer zurück ins Dorf muss, darf einer aus der Clique nichts trinken. Wer jemals nüchtern in einer
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