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Made in Germany

Made in Germany

Titel: Made in Germany
Autoren: Kaya Yanar
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Strafgefangener Striche in meine Zimmerwand geritzt und die Tage bis zu meiner Einschulung gezählt – aber leider konnte ich noch nicht zählen.
    Meinen ersten Schultag habe ich mir immer so vorgestellt: Die Sonne scheint, die stolzen Großeltern kommen zu Besuch, die ganze Familie bringt den kleinen,
süßen Kaya zum Schuleingang, der kleine, süße Kaya wird mit Geschenken überhäuft, er schnuppert gierig an der Riesentüte (die Kiffer wissen, wovon ich rede), lächelndes Lehrpersonal tänzelt mit den Kleinen in den bunt geschmückten Klassenraum …
    In Wirklichkeit bin ich mit der Straßenbahn hingefahren, weil es in Strömen regnete, keiner aus meiner Familie war dabei, und ich hatte das Gefühl, das Einzige, was ich zum Schulstart bekommen habe, waren Läuse und eine fette Erkältung! Aber das war natürlich übertrieben. Selbstverständlich bekam ich eine Schultüte.
    Das bin ich an meinem ersten Schultag. Die Tüte war voll mit Süßigkeiten. Dabei hatte ich mir nichts sehnlicher gewünscht als einen Gutschein für eine Jungs-Frisur!
    Alles in allem war die Grundschulzeit für mich relativ harmlos: Es wurde viel gesungen, alle hatten sich lieb, und die Brüste der Lehrerinnen waren damals noch weniger interessant als Playmobil-Ritter. Auf den Klos wurde noch gekackt statt geraucht, und auf dem Schulhof gab es noch richtig altmodische Schlägereien – ganz ohne Waffen! Es war eine Zeit der Reinheit und der Unschuld: Wir Jungs konnten beispielsweise damals Geburtstagspartys ganz ohne Mädchen feiern, ohne gleich als schwul zu gelten. Allerdings haben wir Jungs auch penibel darauf geachtet, dass es beim Flaschendrehen nicht zum Äußersten kam.

    In der Grundschule hatte ich übrigens auch die ersten Erfolge als Komiker: Mein größter Lacherfolg war der Versuch, beim Sportunterricht über das Pferd zu kommen!
    Ich gebe zu: Sport gehörte nicht zu meinen Lieblingsfächern. Und ich war nicht der Einzige, dem das so ging. Es gab eine Menge Klassenkameraden, die sich Schöneres vorstellen konnten, als in knappen Leibchen an Ringen zu hängen oder Medizinbälle durch die Gegend zu rollen. In der Grundschule blieb uns nichts anderes übrig, als trotzdem am Sportunterricht teilzunehmen, aber später im Gymnasium entwickelten ich und viele meiner Mitschüler eine blühende Fantasie, wenn es darum ging, der Turnhalle fernzubleiben: Plötzlich grassierte in unserem Kurs ein sehr seltenes, temporales Asthma, das jede noch so leichte sportliche Betätigung lebensgefährlich machte! Die Krankheit war übrigens hoch ansteckend!
    Bei einer anderen Gelegenheit trat in meiner Klasse plötzlich vermehrt unheilbarer Bluthochdruck auf. Meistens begann er wenige Minuten vor der Sportstunde und hielt exakt 45 Minuten an. Mediziner hätten vor einem Rätsel gestanden!
    Die Mädchen in unserer Klasse hatten – was weltweit einmalig war – bis zu viermal im Monat ihre Periode! Einige glaubten an eine blöde Ausrede, andere an ein biologisches Wunder!
    Und ob es die Sportlehrer glaubten oder nicht: Die Evolution war extrem gnadenlos und machte auch vor unserer Klasse nicht halt! So unglaublich es klang, es war die reine Wahrheit: In unserer Klasse menstruierten auch die Jungen!
    Zu unserem Glück war unser Sportlehrer extrem
leichtgläubig, was zur Folge hatte, dass die Sportkurse zeitweise sehr dünn besucht waren. Beim Hallenfußball konnte oft noch nicht einmal fünf gegen fünf gespielt werden, sondern nur eins gegen eins. Und das auch nur, wenn der Lehrer mitkickte!
    Aber eines Tages bekamen wir einen neuen Sportlehrer, und dem konnten wir nichts mehr vormachen. Er gab uns glasklar zu verstehen, dass er keine faulen Ausreden duldete. Sein Credo war: Für jedes Wehwehchen gibt es ein Gegenmittel. Sicherheitshalber verteilte der neue Pädagoge unter allen Schülern ein Infoblatt mit internationalen Heilmethoden. Und diese Methoden waren zum Teil so absonderlich, dass wir lieber gar keine Krankheiten mehr vortäuschten und lieber schön brav mitturnten.

    Oft wird ja Kritik laut, dass Schule weltfremd sei und dass die Schüler nur Dinge lernen würden, die sie später im wahren Leben nie wieder brauchen. Die Kritik ist nicht ganz falsch. Das Einzige, das ich zum Beispiel in der Grundschule gelernt habe, war nämlich die Lektion, dass Kakaoflecken unheimlich schlecht aus weißen T-Shirts rausgehen. Eine Lektion, die mir komischerweise seit Jahrzehnten nicht mehr in der Praxis geholfen hat. So viel zum Thema „Fürs Leben
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