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Made in Germany

Made in Germany

Titel: Made in Germany
Autoren: Kaya Yanar
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die Mütter die Schnauzbärte trugen!
    In dieser verdrehten Welt versuchte mein Vater, für sich und seine Kinder etwas von dem zu bewahren, das ihm vertraut war, und das war seine Sprache: Er wollte mit uns Kindern zu Hause Türkisch sprechen. Das funktionierte nicht besonders gut, denn mein Türkisch war immer schon schlecht. Lange Zeit dachte ich, „Ankara” wäre die Bezeichnung für eine regenfeste Outdoor-Jacke mit Kapuze!
    Mein Vater schimpfte oft mit mir: „Kaya, die Türkei ist deine Heimat. Du bist Türke, du bist kein Deutscher! Sprich Türkisch!”

    „Ja, Papa!”
    „DAS HEISST: EVET, BABA!”
    „Okay, Papa.”
    „AAAAAAAAAH!”
    Wenn meine Mutter nicht dazwischengegangen wäre, hätte ich mir wahrscheinlich eine international verständliche Ohrfeige eingefangen!
    Obwohl mein Vater genau wusste, dass ich kaum Türkisch verstand, schimpfte er oft auf Türkisch mit mir: „Eschol eschek!”
    Und ich stand nur da: „Hund? Katze? Maus? …. Mama, was sagt der? Kannst du das übersetzen?”
    Meine Mama übersetzte es mir: „Kaya, er sagt, du seist der Sohn eines Esels!” Ich empfand das damals schon als ungewöhnliche Beschimpfung – vor allem wenn sie aus dem Mund des Vaters vom Sohn eines Esels kommt!
    Als mein Vater bemerkte, dass mein Türkisch selbst für seine Beschimpfungen nicht reichte, probierte er es auf Deutsch – komischerweise war das für mich fast genauso schwer zu verstehen!
    Denn mein Vater war zwar ein studierter und gebildeter Mann, aber mit der deutschen Sprache hat er sich immer schwergetan. Und ich kann es verstehen: Wer nicht mit der deutschen Sprache aufgewachsen ist, kann sie nur sehr schwer erlernen. Das ist nicht so einfach wie Englisch: Da hat man das Schwierigste hinter sich, wenn man die Worte „Yes”, „No”, „Coke” und „Fuck” unfallfrei aufsagen kann! Zumindest bin ich als Schüler mit diesem Vokabular ohne Probleme drei Wochen durch England gekommen.
    Aber für Menschen, die nicht in Deutschland geboren und aufgewachsen sind, ist die deutsche Sprache,
wie mein Vater sagen würde: „Arsch!” Mein Vater konnte so schlecht Deutsch sprechen, dass er mich noch nicht mal richtig auf Deutsch beleidigen konnte! Wenn er es trotzdem versuchte, musste ich immer lachen – was ihn natürlich noch mehr verärgerte!
    Wenn ein Deutscher sein Gegenüber beleidigen möchte, dann sagt er „Trottel”, „Depp” oder „Blödmann”. Mein Vater konnte das nicht. Wenn er mich beleidigen wollte, sagte er: „Was gibt’s, du Arschkopf?”
    „Arschkopf.” Großartig! Poesie pur! Und natürlich zum Schreien komisch! Am liebsten würde ich meinem Vater für „Arschkopf” den deutschen Comedy-Preis verleihen! Wir zwei „Arschköpfe”, also mein Bruder und ich, haben meinen Vater oft extra geärgert, nur damit wir etwas zu lachen hatten: „Kommt heute was Lustiges im Fernsehen, Erkan?”
    „Nö, Kaya.”
    „Okay, dann lass uns Papa ärgern!”
    Mein Vater war unglaublich streng – aber in Verbindung mit „Arschkopf” wurde jede seiner Drohungen zur Lachnummer. Also haben wir ihn mit seinem schlechten Deutsch verarscht – das war unsere Rache für seine Strenge: „Papa, darf ich ins Kino?”
    „Ich geb dir gleich Kino!”
    „Danke, dass du mir gleich ein ganzes Kino gibst!”
    An einem anderen Tag probierte mein Bruder die gleiche Masche – mit Erfolg: „Papa, kriege ich ein Fahrrad?”
    „Ich geb dir gleich Fahrrad!”
    „Das muss nicht gleich sein – das reicht auch Weihnachten!”
    Irgendwann hat mein Vater uns durchschaut, und er hat mich schlimm zurückverarscht. Ich war sieben Jahre
alt – ein Alter, in dem Kinder permanent Fragen stellen, die ihre Eltern nicht beantworten können: „Was sind Wolken?”, „Kommen Tiere in den Himmel?”, „Warum gucken alle Leute ›Dallas‹?” oder „Wie viel wiegt Dänemark?”
    Und bei einer dieser Fragen hat er mich erwischt. Ich fragte ihn: „Papa, ich weiß, ich bin ein Junge, aber darf ich auch mal mit Puppen spielen?” Und er antwortete: „Klar darfst du das! Aber erst, wenn du alt genug bist, um sie selber aufzublasen!” Seitdem lache ich nicht mehr, wenn mein Vater mich „Arschkopf” nennt!

    Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich habe meinen Vater geliebt! Er war ein toller Papa, aber er war auch streng – sehr streng. Türkische Väter sind strenger als deutsche Väter. Das weiß ich aus eigener Erfahrung. Ein Lieblingsspruch meines Vaters war: „Ey, wenn du das kaputtmachst, mach ich
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