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Made in Germany

Made in Germany

Titel: Made in Germany
Autoren: Kaya Yanar
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dich kaputt!”
    Dieser Ausspruch kommt definitiv autoritärer rüber als das deutsche Pendant: „Du, Moritz-Ansgar, das war jetzt zwar meine Lieblingstasse gewesen, die du da deiner Schwester an den Kopf geworfen hast, aber Schwamm drüber, du!” Bei dem Spruch „Wenn du das kaputtmachst, mach ich dich kaputt” macht man sich als Kind schon mal vor Angst in die Hose – und kriegt zusätzlich noch Ärger mit der Mama, die das Zeug wieder rauswaschen muss!

    Ich erinnere mich noch genau an den Tag, an dem ich zum ersten Mal den Unterschied zwischen deutschen und türkischen Vätern bewusst wahrnahm! Bis dahin hatte ich gedacht, dass alle Väter ihre Kinder „Arschkopf” nennen, ihren Kindern „Kino geben” und sich beim Scrabble freuen, wenn sie dreimal hintereinander das „Ü” ziehen. Aber dann stellte ich fest: Andere Väter sind anders als mein Papa!
    Ich war ungefähr fünf Jahre alt und spielte mit meinen Kumpels Hakan, Ranjid und Francesco im Sandkasten. Alles war damals schon so wie heute: Francesco baggerte erfolglos die anderen Mütter an („Isse stehe auf Signoras mit Erfahrung!”), Ranjid hing stundenlang auf der Wippe in der Luft, während auf der anderen Seite seine Kuh Benytha saß (die damals natürlich noch ein Kälbchen war), und auch Hakan war schon genauso wie heute, nur dass er mit dem Dreirad unterwegs war – und nicht mit dem Dreier! Hakan hatte einen Sandkuchen gebacken. Gut, das ist nichts Ungewöhnliches, das machen andere Kinder auch. Aber Hakan bestand darauf, dass man ihn auch probierte: „Guckt ihr hier – krasser Sandkuchen. Ranjid, aufessen!”

    Aber Ranjid stand der Sinn nicht nach Sandkuchen: „Nö, danke! Keinen Hunger ...”
    „FRISS!”
    „Na gut!”
    Und Ranjid stopfte sich das Zeug in den Mund. „Das hat gar nicht so schlecht geschmeckt”, erinnert sich Ranjid heute, „es fehlte nur ein bisschen Curry!”
    Punkt sieben Uhr abends mussten alle Kinder zu Hause sein, denn sieben Uhr war Abendessenszeit in Deutschland, egal, ob für Deutsche, Türken, Italiener oder Inder. Die Mütter hatten üppig gekocht (Ranjids Mutter konnte ja nicht wissen, dass ihr Sohn schon drei Kilo Sand intus hatte), und warteten nun auf ihre Kinder.
    Aber Kinder haben ein anderes Zeitgefühl. Für die ist sieben keine Uhrzeit, sondern eine Tätigkeit im Sandkasten! Auf gut Deutsch (sorry, Papa, aber „auf gut Türkisch” wäre hier einfach falsch): Wir trödelten!
    Um Viertel nach sieben kam die Vorhut: die Mütter! Arabische Mütter, spanische Mütter, italienische Mütter, deutsche Mütter, und natürlich die beste Mutter der Welt: meine Mutter! Sie setzten zu ihren typischen Rufen an:
    „Jürgen!”
    „Manfred!”
    „Conny!”
    „Svea!”

    „Ahmet!”
    „Annika!”
    „Aishe!“
    „Roberta!”
    „Philippa!”
    „Thomas!”
    „Kai-Uwe!”
    „Pedro!”
    „Steffi!”
    „Kaya!”
    „Erkan!”
    „Francesco!”
    „Ranjid!”
    „Hakan! Du Arsch!”
    Achtzehn Kinderköpfe schauten kurz hoch und sahen ihre Mütter am Rand des Sandkastens stehen. Hakan wusste sofort, was zu tun war: „Konkret weiterspielen!”
    Und das taten wir. Um halb acht wurde es dann ernst: Da kamen die Väter! Arabische Väter, spanische Väter, italienische Väter, deutsche Väter – und natürlich der strengste Vater der Welt: mein Vater! Sie riefen nicht – sie schauten nur durch ihre zu Sehschlitzen zusammengekniffenen Augen. Wie im Western! Sie scharrten mit den Hufen und schwiegen. Eiskalt. Es trat Totenstille ein. Man hörte nur den Wind – und Benytha, die gerade einen riesigen Kuhfladen in den Sand setzte. Dann begannen die Väter wie auf Kommando loszubrüllen, und jedes Kind sprang panisch auf, packte wortlos sein Eimerchen und sein Schäufelchen und rannte angsterfüllt zu seinem Papa, der den Jungen sofort am Handgelenk griff und Richtung Ausgang zerrte.
    Nur der deutsche Vater brüllte nicht. Und damit bewies er mir, dass deutsche Väter anders sind als türkische. Denn der deutsche Vater stand ganz ruhig da und sagte: „Kai-Uwe kommst du mal her? Nein, ich renne dir nicht hinterher! Du kommst zu mir !”
    Kai-Uwe kam tatsächlich angedackelt. Und dann folgte der Satz, den ich bis an mein Lebensende nicht vergessen werde; ein Satz, wie er niemals über die Lippen eines türkischen Vaters kommen würde; ein typisch deutscher Satz: „Kai-Uwe, wir müssen reden!”

    Kai-Uwe war vier Jahre alt! Was sollte der reden? „Papa Hunga habe?” „Papa A-A macht?” „Nicht ohne meinen
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