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Madame Butterflys Schatten

Madame Butterflys Schatten

Titel: Madame Butterflys Schatten
Autoren: Lee Langley
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kühlen, die ihre Haut aufplatzen und Blasen werfen ließen, und dort ertrunken. Die Überlebenden taumelten durch die Trümmer, streckten tastend die Arme aus wie Blinde, nackt, Haare und Kleidung in Flammen aufgegangen. Etwas tropfte von ihren Händen, als wären sie gerade aus dem Fluss gestiegen. Merkwürdigerweise schienen sie alle in Stofffetzen gehüllt zu sein. Dann erkannte sie, dass das, was wie Lumpen aussah, Streifen zerfetzter Haut waren, die von ihren Armen herabhingen. Das, was von ihren Händen tropfte, war Blut.
    Davon erzählte sie Joey nichts, sie war sich nicht sicher, ob sie die Worte über die Lippen bringen würde. Er konnte es in Büchern nachlesen, es wurden bereits Bücher geschrieben, Dissertationen vorbereitet, Künstler würden Bilder malen. Die Fahrradrikscha erklomm langsam den Hügel, fuhr im Zickzack auf das Haus zu, in dem Suzuki mit Henry gewohnt hatte. Die Regeln der Gastfreundschaft waren streng: Nach der Reise musste Joey sich ausruhen, etwas essen, Tee trinken. Dann würde sie ihn an den Ort bringen, an dem er geboren war, auf der anderen Seite des Hafens.
    Henrys Haus lag hinter Eisentoren, gedrungen, solide.
    »Das war die amerikanische Seite der Stadt«, erklärte ihm Suzuki. »Diese Häuser wurden auf festen Fundamenten errichtet.«
    Sie führte ihn in ein großes Zimmer und verschwand, um eine Erfrischung für ihn zu holen, während Joe dastand und sich umsah, den Raum betrachtete, die Aussicht über den Hafen und die Hügel ringsum, den Ort, an dem Nancys Onkel gelebt und eine Familie gegründet hatte und friedlich gestorben war, bevor die Bomben fielen.
    Als er sich vom Fenster abwandte, sah er zu seiner Überraschung ein junges Mädchen in der Tür stehen und ihn beobachten.
    »Du musst Joey sein.«
    »Ja. Und wer bist du?«
    Er sprach japanisch mit ihr. Sie antwortete auf Englisch.
    »Mayu. Wir haben oft von dir geredet.«
    Sie war Henrys Tochter, es war völlig normal, dass sie englisch sprach, dennoch klang sie unfreundlich.
    »Wir?«, sagte er.
    »Meine Mutter und ich. Und Cho-Cho.«
    Er spürte, wie sich etwas um sein Herz legte, ein seltsames Gefühl, kein Schmerz, eher eine Ankündigung von Schmerz. Dieses Kind hatte mit seiner Mutter über ihn gesprochen.
    »Sie hat uns immer Geschichten erzählt. Aus der Zeit, als sie jung war.«
    Er stellte fest, dass er eine Hand auf die Brust presste, um den nicht vorhandenen Schmerz zu lindern, normal zu atmen versuchte. »Dann weißt du mehr als ich«, sagte er.
    Sie nickte. »Natürlich. Sie hat uns alles erzählt.«
    Suzuki, die soeben mit einem Tablett in der Hand durch die Tür trat, hörte den letzten Satz. Rasch sagte sie: »Mayu war der Liebling deiner Mutter. Cho-Cho sagte immer, Mayu würde später, wenn sie erwachsen wäre, ein Beispiel für die neue japanische Frau abgeben. Frei, selbst über ihr Leben zu bestimmen. Sie wäre so glücklich darüber gewesen, dass Frauen jetzt das Wahlrecht haben.«
    Sie kniete sich hin und stellte das Tablett auf einem niedrigen Tisch ab.
    »Wenn du dich von deiner Reise ausgeruht hast, gehen wir zum Haus deiner Mutter …«
    »Was davon übrig geblieben ist«, berichtigte Mayu.
    Verlegen murmelte Suzuki: »Natürlich, wie überall, die Schäden …«
    Dieses Mädchen war seine Base. Verwundert über ihre Feindseligkeit, unternahm er einen Versuch, das Eis zu brechen.
    »Dann hat dir meine Mutter sicher auch erzählt, wie sie und mein Vater sich kennengelernt und geheiratet haben«, sagte er.
    »Stimmt«, erwiderte Mayu ruhig. » So desu ne . Sie hat uns erzählt, er habe sie gemietet. Eine Zeit lang.«
    Suzuki stieß einen leisen Schrei aus, bevor sie sich rasch über das Tablett mit grünem Tee und einem Teller mit Klößen aus Bohnenpaste beugte. Das Mädchen erwiderte Joes Blick noch einen Moment gelassen, dann lächelte es und verließ den Raum.
    Jetzt war es also heraus, das schmutzige kleine Geheimnis um seine Zeugung. Er war der Sprössling einer Prostituierten und eines Seemanns, der in einem fremden Hafen ein bisschen Spaß haben wollte. Wie so oft in letzter Zeit wartete Joe auf irgendeine spontane Empfindung. Und wie so oft in letzter Zeit wartete er vergebens.
    Er fühlte sich nicht hintergangen: Sein ganzes Leben war auf Heuchelei aufgebaut, um den Anschein einer achtbaren Familie aufrechtzuerhalten, aber es war auch aus Freundlichkeit geschehen, um ihn zu schützen.
    Jetzt brauchte er jedoch keinen Schutz mehr, er wollte Erklärungen, er wollte die Wahrheit. Er
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