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Madame Butterflys Schatten

Madame Butterflys Schatten

Titel: Madame Butterflys Schatten
Autoren: Lee Langley
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auseinandergerissene Familie wieder zu vereinen, den Toten Respekt zu erweisen, die Überlebenden zusammenzuführen.
    »Ich habe einen Onkel. Er ist Lehrer. Er arbeitet rund um die Uhr und kann nicht einmal seine Familie ernähren. Auf dem Schwarzmarkt einzukaufen ist ein Verbrechen, aber es gibt nichts zu essen, Joey. Am Ende bringt er sich vielleicht um.«
    Einer ihrer Vettern war Offizier in der kaiserlichen Armee gewesen, derzeitiger Aufenthaltsort unbekannt.
    »Meine Mutter hofft, dass er tot ist. Von der Tradition her gesehen wäre das natürlich ehrenvoller.«
    »Du hast heute Morgen gesagt, wir sind alle Spione. Ich laufe herum und mache mir im Geist Notizen. Heute habe ich zwei Leuten einen halben Hotdog geschenkt, und sie haben sich auf traditionelle Weise bedankt. Aber wird unsere Anwesenheit, unsere Beobachtung all das ändern?«
    »Vielleicht.« Sie zuckte die Achseln. »Aber sei dir nicht zu sicher. Harmonie in der Gruppe gegen Individualität? Die alten Sitten und Gebräuche sind ziemlich hartnäckig.«
    Er war nicht überzeugt. »Im Hauptquartier haben wir diese Diskussionsrunden. Wir finden, sie sollten mehr so sein wie wir. Aber wann wird aus ein bisschen mehr zu viel, sodass etwas Wichtiges dabei verloren geht? Wie lange wird es dauern, bis die alten Sitten und Gebräuche vergessen sind und die neue Welt anfängt, ihre Forderungen einzutreiben? Vielleicht sollten wir versuchen, ein bisschen japanischer zu sein.«
    »Tu dir keinen Zwang an«, erwiderte sie.
    Danach war es einfach, ihr die Geschichte seiner Eltern zu erzählen. Oder zumindest einen Teil der Geschichte.
    »Wie kommt es, dass du immer noch in Tokio bist?«, fragte Yasuko. »Du solltest so schnell wie möglich nach Nagasaki.«
    »Ich fahre morgen mit dem Zug hin. Suzuki kann mir mehr sagen.«
    »Suzuki?«
    »Die Witwe meines Großonkels.«
    »Die Männer in deiner Familie hatten offensichtlich eine Schwäche für Japanerinnen.«
    Sie verbrachten die Nacht in einem notdürftig hergerichteten Haus in dem Bereich dieser dahintreibenden Welt, in dem eine Flucht noch möglich war, in dem sanfte junge Frauen und laute Musik die Wirklichkeit für all jene, die sich Schwarzmarktfantasien leisten konnten, ausblendeten. Und auch sie trieben eine Weile dahin und erforschten einander vorsichtig, bis sie sich von der Fantasie lösten und sich der Macht der Wahrheit stellten. Sie zogen sich gegenseitig aus, geschmeidig wie Aale, Yasukos leuchtend rote Lippen verschmiert und geschwollen; Hitze strömte durch ihre Körper, ließ ihr Blut im gleichen Rhythmus pulsieren, sengend, durchdringend, die Ekstase der Flucht.
    Aneinandergeschmiegt lagen sie auf dem dünnen Futon und sahen zu, wie sich hinter der schmutzigen Glasscheibe langsam der Himmel aus der Dunkelheit schälte.
    Sie hatten nicht geschlafen, und jetzt dämmerte bereits der Morgen.
    Sie schüttete Wasser in eine Holzschale und wusch ihn sorgfältig. Er wischte mit einem Schwamm Schweiß und Samen von ihrer Haut.
    »Du hast wunderschöne Füße«, stellte er fest, als er ihre Zehen abtrocknete, und küsste den hohen, schmalen Spann. Er legte seine Hände um ihre kleinen Brüste. »Um genau zu sein, bist du von oben bis unten wunderschön.«
    »Du weißt, was man über Japaner sagt? Schön vom Kopf bis zu den Hüften, und dann kommen diese kurzen Beine.«
    »Wunderschön«, sagte er mit Nachdruck, »wie meine Haare.« Jetzt konnte er ihr sagen, was für einen Schrecken sie ihm bei ihrer ersten Begegnung in Tule Lake eingejagt hatte.
    Sie lachte und erwiderte, das sei ihre Art, mit wichtigen Dingen umzugehen: sich abweisend verhalten.
    »Ich war dir wichtig?«
    »Natürlich. Ich habe dich jeden Tag im Speisesaal beobachtet. Ich habe mir die Bluse vollgekleckert, weil ich nicht auf mein Essen geschaut habe.«
    »Ich habe nach dir gesucht, um mich von dir zu verabschieden. Am letzten Tag, bevor ich zur Militärausbildung gefahren bin, habe ich überall nach dir Ausschau gehalten.«
    »Ich hatte mir irgendeinen Bazillus eingefangen, und eins sag’ ich dir: Dieses Lagerkrankenhaus war wirklich kein Ort für kranke Menschen. Ich habe eine offizielle Beschwerde eingereicht, aber das war diesen Schweinen natürlich völlig egal.«
    Er empfand eine ungeheure Zärtlichkeit für sie, für ihre Wildheit; Yasuko gab sich widerspenstig, ihre Form von Selbstschutz. Hier gab es nichts zu zähmen. Entwaffnet, von ihr gefangen genommen, wollte er nichts weiter, als den Schatten des Schmerzes von ihrem kleinen,
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