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Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)

Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)

Titel: Macht: Geschichten von Erfolg und Scheitern (German Edition)
Autoren: Katja Kraus
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allerdings die erforderliche Satzungsmehrheit verfehlte. Die ebenso schnöde wie erfolgversprechende Formel der reinen Fußballlehre lautet: am Ende ein Tor mehr schießen als der Gegner. Sie sollte in diesem Fall nicht ausreichen. Das Ergebnis stand fest. Mit 7:5 Stimmen war das Spiel verlorengegangen. Eine karge Nachricht, lakonisch überbracht nach einem gewöhnlichen Bundesligaspiel. Einem Spiel, das ebenfalls verlorenging, weil der Gegner, Mainz 05, ein Tor mehr geschossen hatte. Und doch blieb die Erschütterung an diesem Tag aus. Acht Jahre und zwei Tage lang bin ich bis dahin Vorstand für Marketing und Kommunikation des Hamburger SV gewesen. Meine Aufgabe war es, aus einem traditionsreichen Fußballverein eine moderne, »emotionale Marke« zu machen. Die Attraktivität zu erhöhen, Vermarktungsergebnisse zu steigern. Und dabei die kommerziellen Anforderungen eines wettbewerbsorientierten Wirtschaftsunternehmens mit den Eigentümlichkeiten eines Sportvereins in Einklang zu bringen. Vor allem aber war es mir eine Herzensangelegenheit. Doch besonders in den letzten beiden Jahren hatten die Vereinspolitik, das Ringen um den richtigen Weg, die internen Diskussionen um Bewahren und Entwickeln überhandgenommen.
    Der Abend der Entscheidung endete wie viele jener Tage zuvor bei einem Glas Wein gemeinsam mit denjenigen, die weiterhin kämpferisch, den Fakten trotzend, nach Lösungen suchten, das Spiel zu drehen. Ich war müde. Nicht geschockt von der Brachialität der Nachricht, nicht verletzt von der darin liegenden Missachtung, nicht mal aufgewühlt von Adrenalin. Zu jedem anderen Ereignis der vorausgegangenen acht Jahre habe ich in diesen Situationen eine Strategie zu entwickeln versucht, Szenarien entworfen, Erklärungen und Sprachregelungen gefunden. In dem Moment, der mich am persönlichsten betraf, war ich einfach zu müde. Wortlos.
    Am nächsten Tag fuhr ich ins Büro, um den Mitarbeitern zu sagen, was die Hamburger Zeitungen schon großflächig verkündeten: »Die Ära Hoffmann/Kraus ist beendet!«
    Nach einer aufgewühlten Versammlung war die stumme Fassungslosigkeit, die unsere Büroräume ausfüllte, unerträglich für mich geworden. Wie so oft in Ausnahmesituationen wollte ich auch diesmal zunächst mit mir allein einen Umgang mit der Erkenntnis finden, die mich nun nach und nach mit ihrer ganzen Kraft erreichte. Ich fuhr an die Ostsee.
    Der Wintergarten des kleinen Hotels in einem vergessenen Dorf in Mecklenburg-Vorpommern war auf eine romantische Weise einsam. In den vergangenen Jahren bin ich häufig an diesem Ort gewesen. Meistens mit Kollegen, in kleinen und größeren Gruppen, um Zukunftsperspektiven festzulegen, Konzepte zu entwickeln, Teamgeist zu stärken. Vor allem um die Rahmenbedingungen zu schaffen für das Ziel, das über allem stand: die Erhöhung der Wahrscheinlichkeit des sportlichen Erfolges. Gewonnene Bundesligaspiele. Ein Tor mehr als der Gegner, möglichst oft.
    Die Bedächtigkeit der Szenerie, die Stille des Sees waren effektvolle Kontraste zum überdrehten Alltag des Fußballgeschäftes. In den vorausgegangenen Monaten war es mir immer schwerer geworden, die Getriebenheit als Normalität zu akzeptieren. Ich zweifelte zunehmend daran, ob diese Aufgabe mir und ich der Aufgabe imstande bin weiterhin zu geben, was wir einander für Jahre gegeben hatten. Immer wieder in den vergangenen Jahren gab es diese Tage des Haderns mit den Irrationalitäten der Branche, den unzähligen Einflussfaktoren, der stetigen Selbstüberhöhung und den Erfordernissen des Machterhaltes. Wie alle Menschen in Positionen, die eine erhebliche Entscheidungsgeschwindigkeit fordern und deren Beurteilung durch die Öffentlichkeit mindestens gleichermaßen die Handlungsoptionen bestimmt wie die inhaltliche Überzeugung, habe ich die Abnutzungserscheinungen längst gespürt. Und doch gab es immer Kräfte, die schwerer wogen. Die Bindung an liebgewonnene Menschen und eine prägende Aufgabe. Das wohlige Gefühl der eigenen Bedeutung für die Sache. Die Sicherheit, die berechenbare Herausforderungen, ein bekanntes Umfeld und etablierte Strukturen bieten. Der Status einer Position mit erheblicher Entscheidungskompetenz. Die Attraktivität, die eine öffentlich begleitete Funktion mit all ihren Vorzügen ausmacht. Insbesondere in guten Zeiten. Aber vor allem die Angst davor, dass es vielleicht keine Aufgabe mehr geben wird, die mich auf diese Weise ausfüllt, die ich in ähnlicher Weise auszufüllen imstande bin.
    Die
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