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Macht (German Edition)

Macht (German Edition)

Titel: Macht (German Edition)
Autoren: Bertrand Russell
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friedlicherer Beruf mehr offenstand. Wenn die Autorität des Führers einmal hergestellt ist, mag er Rebellen Furcht einflößen; aber bis er Führer ist und als solcher von der Mehrheit anerkannt wird, ist er nicht in der Lage, sich Respekt zu verschaffen. Um die Position eines Führers zu erlangen, muss er sich durch Eigenschaften auszeichnen, die Autorität verleihen: Selbstvertrauen, schnelle Entschlusskraft und die Fähigkeit, die richtigen Maßnahmen zu treffen. Führertum ist eine relative Sache: Cäsar konnte Antonius zum Gehorsam bringen, aber kein anderer vermochte das. Die meisten Leute empfinden, dass Politik eine schwierige Angelegenheit ist und dass man besser einem Führer folgt – sie fühlen das instinktiv und unbewusst, wie Hunde vor ihrem Herrn. Wenn dem nicht so wäre, könnte eine gemeinsame politische Aktion kaum möglich sein.
    So ist Machtliebe als Antrieb durch Zaghaftigkeit begrenzt, eine Zaghaftigkeit, die auch den Wunsch nach Selbstbestimmung einschränkt. Da Macht uns befähigt, mehr von unseren Begierden zu verwirklichen, als auf andere Weise möglich sein würde, und da sie uns einen Abstand vor anderen sichert, ist es natürlich, nach Macht zu begehren, insofern Zaghaftigkeit nicht auf den Plan tritt. Diese Art von Zaghaftigkeit wird durch die Gewohnheit der Verantwortung verringert, und entsprechend neigt Verantwortung zur Stärkung der Machtgelüste.
    Die Bekanntschaft mit Grausamkeit und Unfreundlichkeit kann nach beiden Seiten wirken: Bei Leuten, die sich leicht fürchten, bringt sie den Wunsch hervor, der Beobachtung zu entgehen, während kühnere Geister angetrieben werden, eine Stellung zu suchen, in der sie eher Grausamkeit üben als dulden müssen.
    Nach der Anarchie ist der Despotismus der erste natürliche Schritt, denn er wird durch den instinktmäßigen Mechanismus von Beherrschung und Unterwerfung erleichtert; dies hat sich in der Familie, im Staat und im Geschäftsleben gezeigt. Gleiche Zusammenarbeit ist viel schwieriger als Despotismus und sagt dem Instinkt viel weniger zu. Wenn die Menschen gleiche Zusammenarbeit versuchen, ist es für jeden natürlich, die völlige Herrschaft anzustreben, da der Unterwerfungstrieb nicht ins Spiel eintritt. Es ist beinahe notwendig, dass alle betroffenen Teile eine gemeinsame Verpflichtung zu einem außerhalb von ihnen Stehenden anerkennen. In China sind Familiengeschäfte oft erfolgreich wegen der konfuzianischen Ergebenheit an die Familie; aber unpersönliche Aktiengesellschaften offenbaren sich leicht als nicht arbeitsfähig, weil keiner einen zwingenden Grund zur Ehrlichkeit gegenüber den anderen Aktienbesitzern hat. Wo eine Regierung aus reiflicher Überlegung besteht, muss, wenn man Erfolg haben will, eine allgemeine Achtung vor dem Gesetz oder vor der Nation bestehen oder vor irgendeinem Prinzip, das alle Teile respektieren. Wenn die Quäker eine zweifelhafte Sache zu entscheiden haben, stimmen sie nicht ab, und nicht die Mehrheit setzt sich durch: Sie diskutieren, bis sie den »Sinn der Zusammenkunft« erfasst haben, was früher als das Werk des Heiligen Geistes angesehen wurde. In ihrem Fall haben wir es mit einer besonders homogenen Gemeinschaft zu tun, aber ohne eine gewisse Homogenität ist eine Regierung auf der Grundlage der Diskussion nicht arbeitsfähig.
    Ein ausreichendes Solidaritätsgefühl, das eine Regierung auf der Grundlage der Diskussion ermöglicht, kann ohne große Schwierigkeiten in einer Familie von der Art der Fugger oder Rothschild gezüchtet werden, auch in einer kleinen religiösen Sekte, wie die Quäker es sind, in einem barbarischen Stamm oder in einer kriegführenden oder vom Kriege bedrohten Nation. Aber ein äußerer Druck ist nur zu notwendig, die Mitglieder einer Gruppe hängen aus Furcht vor Vereinzelung zusammen. Gemeinsame Gefahr ist bei weitem der leichteste Weg zur Homogenität. Das führt uns allerdings nicht an eine Lösung des Machtproblems in der Welt überhaupt heran. Wir wollen Gefahren, zum Beispiel Krieg, vorbeugen, die gegenwärtig zum Zusammenschluss drängen, aber wir wollen die gesellschaftliche Zusammenarbeit nicht zerstören. Das Problem ist sowohl vom psychologischen wie vom politischen Standpunkt aus ein schwieriges, und wenn uns nach Vergleichen zu urteilen erlaubt ist, wird es, wenn überhaupt, durch den anfänglichen Despotismus irgendeiner Nation gelöst werden. Freie Zusammenarbeit unter Nationen, die in solchem Grade an das liberum veto gewöhnt sind, ist so schwierig
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