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Macht (German Edition)

Macht (German Edition)

Titel: Macht (German Edition)
Autoren: Bertrand Russell
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»Bellerophon« Schiffbruch erlitten hätte, würde Napoleon vielleicht zahm den Anordnungen britischer Offiziere Folge geleistet haben, das Rettungsboot zu besteigen. Die Menschen lieben die Macht so lange, als sie an ihre eigene Kompetenz in der betreffenden Sache glauben, aber sie ziehen vor, einem Führer zu folgen, wenn sie sich für unzuständig halten.
    Der Trieb zur Unterwerfung, der genauso real und gewöhnlich ist wie der Trieb zum Befehlen, hat seine Wurzeln in der Furcht. Die wildeste Kinderschar, die man sich nur vorstellen kann, wird den Anordnungen eines zuständigen Erwachsenen in einer alarmierenden Situation, etwa bei einer Feuersbrunst, zugänglich sein; als der Krieg ausbrach, schlossen die Pankhursts mit Lloyd George Frieden. Wann immer akute Gefahr besteht, fühlen sich die meisten Menschen veranlasst, eine Autorität zu wählen und sich ihr unterzuordnen; in solchen Momenten träumen nur wenige von Revolution. Wenn Krieg ausbricht, haben die Leute gegenüber der Regierung ähnliche Gefühle.
    Organisationen können dafür bestimmt sein, Gefahren zu begegnen oder nicht. Wirtschaftliche Organisationen, wie zum Beispiel Kohlenbergwerke, beinhalten in manchen Fällen Gefahren, aber diese sind zufälliger Art, und wenn sie vermieden werden könnten, würden die Organisationen nur besser gedeihen. Im allgemeinen ist die Begegnung der Gefahr kein Teil des wesentlichen Zwecks wirtschaftlicher Organisationen oder regierender Organisationen, denen die inneren Angelegenheiten obliegen. Aber Rettungsboote und Feuerwehren werden wie Heere und Flotten zu dem Zweck gebaut, Gefahren zu begegnen. In einem gewissen weniger unmittelbaren Sinn trifft das auch auf religiöse Körperschaften zu, die teilweise bestehen, um tief in unserer Natur verborgene metaphysische Ängste zu beschwichtigen. Wenn jemand geneigt sein sollte, das in Frage zu stellen, möge er an Hymnen denken, wie:
     
Fels der Zeiten, meine Kluft,
Lass, oh, mich in Dir verbergen;
     
oder:
     
Jesu, Liebster meiner Seele,
Lass, oh, mich in Dir verbergen;
Wenn die hohen Wasser strömen,
Wenn die großen Stürme fliegen.
     
    In der Unterwerfung unter den göttlichen Willen liegt ein Sinn äußerster Sicherheit, der viele Monarchen, die keinem lediglich irdischen Wesen hätten untertan sein können, zu religiöser Demut gebracht hat. Alle Bereitschaft zur Unterwerfung ist in Furcht verwurzelt, ob nun der Führer, dem wir uns unterwerfen, menschlicher oder göttlicher Natur ist.
    Es ist ein Gemeinplatz geworden, dass auch Angriffslust oft ihren Ursprung in der Furcht habe. Ich neige zu der Annahme, dass diese Theorie zu weit geht. Sie trifft auf eine bestimmte Art von Angriffslust zu, zum Beispiel im Falle von D. H. Lawrence. Aber ich zweifle sehr, ob die Männer, die Piratenhäuptlinge werden, von retrospektiver Angst vor ihren Vorfahren erfüllt sind oder ob Napoleon bei Austerlitz wirklich fühlte, dass er endlich mit Madame Mere gleichzog. Von Attilas Mutter weiß ich nichts, aber ich habe sie im Verdacht, dass sie den kleinen Liebling verzog, der in der Folge die Welt beunruhigend fand, weil sie manchmal seinen Launen widerstand. Die Art von Angriffslust, die aus Schüchternheit resultiert, ist meiner Meinung nach nicht jene, die großen Führern innewohnt; große Führer, möchte ich sagen, besitzen ein außergewöhnliches Selbstvertrauen, das nicht nur auf der Oberfläche liegt, sondern tief ins Unterbewusstsein eindringt.
    Das für einen Führer notwendige Selbstvertrauen kann auf verschiedene Weise entstehen. Historisch gesehen ist eine der üblichsten Ursachen eine erbliche Befehlsstellung gewesen. Lesen Sie beispielsweise die Reden der Königin Elisabeth in kritischen Augenblicken: Sie werden sehen, dass die Monarchin die Frau überkommt, sie davon überzeugt, und durch sie hindurch die Nation, dass sie weiß, was zu tun ist, wie kein gewöhnlicher Sterblicher es vermag. In ihrem Falle waren die Interessen der Nation und der Krone in Übereinstimmung; aus diesem Grunde war sie die »gute Königin Beß«. Sie konnte sogar ihren Vater loben, ohne Unwillen zu erregen. Zweifellos erleichtert die Gewohnheit des Kommandierens das Tragen von Verantwortung und das schnelle Fassen von Entscheidungen. Ein Stamm, der seinem erblichen Oberhaupt folgt, fährt dabei wahrscheinlich besser, als wenn er seinen Häuptling durch das Los wählte. Andererseits erzielte eine Körperschaft wie die mittelalterliche Kirche, die ihr Haupt um sichtbarer Verdienste
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