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Macht (German Edition)

Macht (German Edition)

Titel: Macht (German Edition)
Autoren: Bertrand Russell
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den ihn Verehrenden sehen, wobei wir selbst die Stelle Gottes einnehmen. Daher Wettbewerb, die Notwendigkeit von Kompromiss und Regierung, der Trieb zur Rebellion, der mit Unsicherheit und periodischer Gewaltanwendung einhergeht. Und daher die Notwendigkeit des Moralischen zur Eindämmung anarchischer Selbstbehauptung.
    Von den unendlichen Begierden des Menschen zielen die wesentlichen nach Macht und Herrlichkeit. Diese sind nicht identisch, wenn auch eng verbunden: der Ministerpräsident hat mehr Macht als Herrlichkeit, der König mehr Herrlichkeit als Macht. Im Allgemeinen führt jedenfalls der Weg zur Herrlichkeit über die Macht. Dies ist besonders der Fall bei Menschen, die im öffentlichen Leben tätig sind. Die Begierde nach Herrlichkeit veranlasst daher im wesentlichen die gleichen Handlungen, wie die Begierde nach Macht sie hervorbringt, und die zwei Motive mögen aus praktischen Gründen als eines betrachtet werden.
    Die orthodoxen Ökonomen so gut wie Marx, der in dieser Beziehung mit ihnen übereinstimmte, irrten in der Annahme, dass das wirtschaftliche Eigeninteresse das grundsätzliche Motiv in der Gesellschaftswissenschaft sei. Der Wunsch nach Gütern, sofern sie von Macht und Herrlichkeit getrennt sind, ist endlich und kann völlig durch eine maßvolle Wohlhabenheit befriedigt werden. Die wirklich unbegrenzten Begierden sind nicht von der Liebe zu materiellen Dingen diktiert. Güter wie eine durch Korruption dienstbar gemachte Legislatur oder eine Privatgalerie von alten Meistern, die durch Experten ausgesucht wurden, werden um der Macht und der Herrlichkeit willen erstrebt, nicht als fruchtbringende Bequemlichkeiten, auf denen man sitzen kann. Wenn ein mäßiger Stand des Komforts gesichert ist, werden sowohl Individuen als auch Gemeinschaften eher nach Macht als nach Reichtum streben: Sie mögen Reichtum suchen als Mittel zur Macht, oder sie mögen zunächst eine Zunahme an Reichtum vornehmen, um ein Anwachsen der Macht zu sichern, aber im ersteren wie im letzteren Fall ist ihr grundsätzliches Motiv nicht wirtschaftlicher Art.
    Dieser Irrtum in der orthodoxen und in der marxistischen Ökonomie ist nicht allein ein theoretischer, er ist vielmehr von der größten praktischen Bedeutung und hat Missverständnisse in Bezug auf einige der grundlegenden Ereignisse der jüngsten Vergangenheit verursacht. Nur durch die Erkenntnis, dass Machtliebe die Ursache der im Gesellschaftlichen zählenden Handlungen ist, kann Geschichte, gleichviel, ob alte oder moderne, richtig interpretiert werden.
    In diesem Buch werde ich mich um den Beweis bemühen, dass der Fundamentalbegriff in der Gesellschaftswissenschaft Macht heißt im gleichen Sinne, in dem die Energie den Fundamentalbegriff in der Physik darstellt. Wie die Energie hat die Macht viele Formen, so etwa Reichtum, Rüstung, Staatsautorität, Einfluss auf die Meinung. Nicht eine von diesen Formen kann als einer anderen untergeordnet betrachtet werden, und es gibt keine einzige, von der die anderen sich ableiten ließen. Der Versuch, eine bestimmte Form der Macht, zum Beispiel Reichtum, gesondert zu behandeln, kann nur zu einem Teil erfolgreich sein, ebenso wie das Studium einer bestimmten Energieform in mancher Hinsicht Mängel aufweisen wird, sofern nicht andere Formen in Betracht gezogen werden. Reichtum mag sich von militärischer Macht oder vom Einfluss auf die Meinung ableiten, gerade so wie jeder dieser beiden Faktoren vom Reichtum stammen kann. Die Gesetze gesellschaftlicher Dynamik können nur in Begriffen der Macht an sich, nicht aber in Begriffen dieser oder jener Form von Macht ausgedrückt werden. In früheren Zeiten war die militärische Macht isoliert, so dass Sieg oder Niederlage von den zufälligen Qualitäten der Kommandierenden abzuhängen schien. Heutzutage pflegt man wirtschaftliche Macht als Ursprung zu behandeln, aus dem alle übrigen Formen sich herleiten; das ist ein nicht geringerer Irrtum, behaupte ich, als jener andere, der scheinbar von diesem überholt wurde – ich meine den Fehler, den die reinen Militärhistoriker begingen. Dann gibt es solche, die Propaganda als die fundamentale Form der Macht ansehen. Das ist keineswegs eine neue Meinung; sie drückt sich in solchen hergebrachten Worten aus wie: »magna est veritas et praevalebit« und »das Blut der Märtyrer ist die Saat der Kirche«. Sie hat etwa denselben Gehalt an Wahrheit und Falschheit wie die militärische oder die ökonomische Anschauungsweise. Wenn die Propaganda
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