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Macht (German Edition)

Macht (German Edition)

Titel: Macht (German Edition)
Autoren: Bertrand Russell
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Führer bereitwillig folgen, so tun sie das im Hinblick auf die Aneignung von Macht durch die Gruppe, die er befehligt, und sie fühlen, dass sein Triumph der ihre ist. Die meisten Menschen fühlen nicht in sich selbst die notwendige Fähigkeit, ihre Gruppe zum Sieg zu führen, und suchen daher nach einem Befehlshaber, der den Mut und die Umsicht zu besitzen scheint, die zur Erreichung der Überlegenheit erforderlich scheinen. Selbst in der Religion tritt dieser Trieb zutage. Nietzsche beschuldigte das Christentum, eine Sklavenmoral zu entwickeln, aber der äußerste Erfolg war immer das Ziel. »Selig sind die Sanften, denn sie sollen die Erde besitzen.« Oder wie die wohlbekannte Hymne ausführlicher sagt:
     
Der Gottsohn zieht aus zum Krieg, Die Krone zu gewinnen.
Sein rotes Banner strömt im Wind. Wer folget ihm von hinnen?
Wer seinen Qualenbecher leert, Wer siegreich Schmerzen trug
Und voll Geduld sein irdisch Kreuz, Der folgt in seinem Zug.
     
    Wenn das eine Sklavenmoral ist, dann ist jeder Glücksritter, der die Härten eines Feldzugs erträgt, und jeder politische Funktionär, der mühsame Wahlarbeit leistet, ein Sklave. Tatsächlich ist aber bei jedem echten gemeinsamen Unternehmen der Geführte psychologisch gesehen nicht mehr Sklave als der Führer. Das ist es, was die durch Organisation unvermeidlich gemachten Ungleichheiten in der Macht erträglich gestaltet, Ungleichheiten, die in der zunehmend organischen Gesellschaft eher anwachsen als sich vermindern.
    Ungleichheit in der Verteilung der Macht hat seit jeher in menschlichen Gemeinwesen existiert, soweit zurück sich unsere Kenntnis erstreckt. Die meisten gemeinschaftlichen Unternehmungen werden nur möglich, wenn sie von irgendeiner führenden Körperschaft geleitet werden. Wenn ein Haus gebaut werden soll, muss jemand über den Plan entscheiden; wenn Züge laufen sollen, so kann der Fahrplan nicht den Launen der Lokomotivführer überlassen werden, beim Bau einer neuen Straße muss jemand bestimmen, wohin sie zu gehen hat. Selbst eine demokratisch gewählte Regierung ist noch eine Regierung, und daher muss es einige Leute geben, aus Gründen, die nichts mit Psychologie zu tun haben, Leute, die Anweisungen geben, und andere, die ihnen gehorchen, wenn Kollektivunternehmungen Erfolg haben sollen. Aber der Umstand, dass dies möglich ist, und noch mehr die Tatsache, dass die gegenwärtigen Ungleichheiten in der Machtverteilung weit über das aus technischen Gründen erforderliche Maß hinausgehen, sie können nur in Begriffen der Individualpsychologie und -physiologie erklärt werden. Der Charakter mancher Menschen führt sie immer zum Kommando, andere immer zum Gehorsam; zwischen diesen Extremen liegt die Masse der Durchschnittsmenschen, die in gewissen Situationen zu befehlen lieben, aber in anderen vorziehen, sich einem Führer unterzuordnen.
    Adler unterscheidet in seinem Buch über das »Verständnis der menschlichen Natur« den sich unterordnenden und den herrschsüchtigen Typ. »Das knechtische Individuum«, sagt er, »lebt nach den Gesetzen und Vorschriften anderer, und dieser Typ sucht beinahe zwangsmäßig eine dienende Stellung. Andererseits«, fährt er fort, »kann der herrschsüchtige Typ, der fragt, >Wie kann ich jedem übergeordnet sein<, überall da gefunden werden, wo ein Leitender gebraucht wird, und erklimmt in Revolutionen die Spitze.« Adler betrachtet beide Typen als nicht wünschenswert, jedenfalls in ihren extremen Formen, und hält sie beide für Produkte der Erziehung. »Der größte Nachteil einer autoritativen Erziehung«, sagt er, »liegt in der Tatsache, dass sie dem Kind ein Ideal der Macht gibt und ihm das Vergnügen zeigt, das mit dem Besitz von Macht verbunden ist.« Autoritative Erziehung, können wir hinzufügen, bringt den sklavischen wie den despotischen Typ hervor, da sie zu dem Gefühl verleitet, dass die einzig mögliche Beziehung zwischen zwei zusammenwirkenden menschlichen Wesen jene ist, in welcher das eine Befehle gibt und das andere ihnen gehorcht.
    Machtliebe ist in verschiedenen beschränkten Formen eine fast universale Erscheinung, in ihrer absoluten Form jedoch selten. Eine Frau, die Macht in der Verwaltung ihres Hauses liebt, wird wahrscheinlich vor der Art politischer Macht, deren ein Ministerpräsident sich erfreut, zurückschrecken; im Gegensatz rI27u war Abraham Lincoln, ohne Furcht davor, die Vereinigten Staaten zu regieren, nicht fähig, einen häuslichen Bürgerkrieg zu ertragen. Wenn der
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