Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Macht der Toten

Macht der Toten

Titel: Macht der Toten
Autoren: Marcel Feige
Vom Netzwerk:
sich über ihn lustig.
    Er schloss die Augen. Was sollte er erwidern? Er wusste es nicht. Er war gekommen, um mit ihr über alles zu reden, was ihm widerfahren war. Es gab so viel, was er ihr erzählen wollte. Damit zwischen ihnen wieder alles so wurde, wie es mal war. Doch stattdessen hatte sie ihm eröffnet, dass sie ein Kind erwartete.
    Verflucht! Ja, es wäre ihm lieber gewesen, wenn sie ihm einfach gestanden hätte, dass sie fremdgegangen sei. Und dass das Kind von diesem Typen wäre.
    Einige Worte schlängelten sich in sein Bewusstsein. Es geht immer nur um die Kinder. Das hatte sein Vater gesagt. Aber was bedeutete es? Nichts geschah ohne Grund, so viel hatte er inzwischen verstanden, und deshalb war ihm klar, dass das Kind von ihm sein musste. Als hätte er nicht schon genug Probleme.
    Er hob die Lider. Chris saß ihm gegenüber, vermied es aber, ihn anzusehen. Er folgte ihrem Blick. Sie starrte auf seine Hände, die fahrig an Rabeas Fell zupften.
    Philip kam sich vor wie Ritz, der an seiner Daunenjacke friemelte, verzweifelt und nervös, als erledige er eine überlebenswichtige Arbeit. Oder eine Aufgabe, mit der man erfolgreich vor den Geistern der Vergangenheit flüchten konnte.
    Rabea wurde der Berührungen überdrüssig. Sie erhob sich, gähnte, streckte ihren dünnen Katzenkörper und sprang vom Sofa. Mit erhobenem Schweif stolzierte sie in die Küche. Philip sah ihr nach und fühlte sich dabei schuldig. Es gab keinen Grund dafür. Er hatte sie nicht von der Couch vertrieben. Aber natürlich ging es nicht um die Katze, sondern um Vorfälle, an denen er sehr wohl Schuld trug. Auch wenn er inzwischen bereit war, sich das einzugestehen, wurde die Kluft zwischen ihm und seiner Freundin mit jeder Minute größer. Nichts würde wieder so werden, wie es war. Die Vorstellung verkrampfte ihm den Magen. Er brauchte Chris. Andernfalls würde er enden wie Ritz. In der Psychiatrie.
    »Wir müssen eine Lösung finden«, sagte Chris.
    »Natürlich«, entgegnete er versöhnlich. »Es ist ja auch mein Kind.«
    »Ja«, sagte sie und klang jetzt wesentlich ruhiger. »Das ist es.« Leise fügte sie hinzu: »Es tut mir leid.«
    Mit einem Ruck erhob er sich. Für einen Moment blieb er still stehen, überrascht von der Entschlossenheit, die ihn plötzlich beseelte. Dann umrundete er den Tisch und baute sich vor seiner Freundin auf. Das war sie doch noch, oder? Er musste die Antwort jetzt erfahren.
    »Chris, ich…«, begann er und holte Luft. Er beugte sich zu ihr herab. Ganz nahe, bis ihre Nasen sich beinahe berührten. Ihre blauen Pupillen musterten ihn. Blau wie ein tiefer, unergründlicher See. »Es gibt nichts…« Der Geruch ihres Parfüms kam ihm in die Nase. Seine Stimme verlor sich so schnell wie seine Entschlossenheit. »… nichts, wofür du dich entschuldigen musst.«
    Er wartete. Sie sah ihn an. Aber sie rührte sich nicht. Nicht eine kleine Geste. Nicht einmal ein Wimpernschlag. Irgendwann sagte sie nur: »Ich weiß.« Erst dann senkte sie die Lider. »Trotzdem tut es mir leid.«
    Dabei schüttelte sie den Kopf. Ihr schulterlanges braunes Haar wippte neckisch. Zumindest kam es ihm so vor, weil der Hauch einer Erinnerung ihn streifte. Er hätte schreien können.
    Chris sagte: »Philip, nach Dienstagnacht… ich sagte dir schon…« Sie hustete. Er dachte an die Vergewaltigung. »Gib mir einfach etwas Zeit, okay?«
    Gib mir noch Zeit . Das waren jene Worte, mit denen Paare einander trösteten, weil sie sich die Wahrheit nicht eingestehen wollten. Die Wahrheit war: Zeit besaß er am allerwenigsten. Er erinnerte sich an das Versprechen, das er Kommissar Sebastian Berger in der Rechtsmedizin gegeben hatte, nur wenige Meter neben der Leiche seiner Großmutter. Geben Sie mir Zeit. Nur ein bisschen Zeit. Um dem großen Plan auf die Spur zu kommen. Er hatte keine Ahnung, wie er diesen Beweis liefern konnte. Er war noch so weit von einer Antwort entfernt, von allen Antworten.
    Chris schien zu spüren, dass er sich mit ihrer Antwort nicht zufriedengeben wollte. Doch sie war nicht geneigt, über mehr zu reden. »Es ist spät«, erklärte sie. »Ich bin müde. Die letzten Tage… das Baby… das kostet mich viel Kraft.« Sie rutschte an ihm vorbei aus dem Sessel. »Ich glaube, ich möchte mich hinlegen.« Langsam folgte sie der Katze in die Küche. Bevor sie die Tür hinter sich ins Schloss drückte, sah sie noch einmal zurück.
    Philip deutete ein Kopfnicken zum Fenster an. Schneefall hatte wieder eingesetzt. Der Treptower
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher