Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Macht der Toten

Macht der Toten

Titel: Macht der Toten
Autoren: Marcel Feige
Vom Netzwerk:
Park verschwand hinter einer dichten weißen Wolke. »Kann ich nicht bis morgen früh hierbleiben… auf der Couch?« Freudlos scherzte er: »Ich schnarch auch nicht.«
    Chris schenkte ihm ein schwaches Lächeln. Ein bisschen Hoffnung. »Meinetwegen kannst du auf dem Sofa schlafen.«
    Irgendwo
    Es war noch schlimmer als beim letzten Mal. Da waren wenigstens die Hinterlassenschaften einer längst vergangenen Zivilisation zu erkennen gewesen, bleiche Steinkörper, blasse Ruinen. Die niedergerissenen, zerbombten Zeugnisse waren zwar ein grausiger Anblick gewesen, aber zumindest hatten sie einen Hinweis darauf gegeben, dass sie sich noch auf der Erde befanden, in einer zwar zerstörten, aber doch vertrauten Welt.
    Jetzt gab es keine Spur mehr davon. Ein Orkan war über die Welt hereingebrochen, hatte alles fortgeschleudert, vielleicht an einen unbekannten besseren Ort. Es war schön, dies zu glauben.
    Doch tatsächlich hatte sich nur das Rad der Zeit weitergedreht. Die Überreste der Apokalypse – und nichts anderes als ein Armageddon musste hier geschehen sein – waren verfallen, zerfressen von den nagenden Zähnen eines eisigen Frostes, der nichts mehr übrig gelassen hatte außer Staub und Schnee.
    So weit ihre Augen reichten, sahen sie nur eine weite weiße Fläche, in der sich das finstere Antlitz des Himmels spiegelte. Für den Moment wirkte es friedlich, beinahe romantisch. Schnee, kilometerweit nur Schnee, weiß wie die Unschuld. Aber auch das war nur eine trügerische Hoffnung, und das wussten sie. Unter der verführerischen Decke lauerte das Verderben. Eine Eiszeit.
    Es war kalt hier, grimmig kalt. Der Wind wehte, nicht sehr stark, aber doch so, dass der Frost beständig an ihren Leibern zu nagen schien. Wie lange würden sie seinen gierigen Klauen noch widerstehen können?
    Sie fassten sich an den Händen, schlossen die Finger um die des anderen.
    Auch wenn sie nicht wirklich wussten, wer sie waren, das Einzige, was ihnen noch Hoffnung gab, war, dass sie einander hatten.
    So standen sie eine ganze Weile, atemlos und staunend, verwirrt und voller Angst. Endlich stellte sie die Frage, die sie beide seit ihrem ersten Aufeinandertreffen in dieser beklemmenden Ödnis bewegte: »Was habe ich hier zu suchen?«
    Gerne hätte er ihr eine Antwort gegeben. Aber welche? Er drückte ihre Hand, eine Geste aus Trost und Trauer, die mehr sagte als Worte.
    Weiter vorne rührte sich etwas. Erst konnten sie nicht glauben, was sie sahen. Es war ein Kind. Ein Mädchen? Ein Junge? Es war noch zu weit entfernt, um das erkennen zu können.
    Es schritt auf sie zu und lachte dabei. Was gab es an diesem gottverlassenen Ort zu lachen? Aber es war doch nur ein Kind, noch weit davon entfernt zu begreifen, was um es herum geschah. Es stapfte einfach nur durch den Schnee, unbeholfen, wie es kleinen Kindern zu eigen ist, drohte dabei mehr als einmal umzufallen.
    Jedes Mal zuckten sie zusammen. Aber sie eilten dem Kind nicht entgegen. Sie warteten. Das Kind kam näher.
    Kurz bevor es sie erreichte, wirbelte Schnee vor ihren Füßen auf. Es war ein seltsames Spiel, das der Wind trieb. Immer mehr Flocken hüpften empor, wuchsen zu einer riesigen Säule, hinter der das kleine Kind verschwand. Sie wollten ihm etwas zurufen, doch aus ihren Mündern kamen keine Worte. Kein Schrei. Nicht der kleinste Laut.
    Der tobende Schnee formte eine Gestalt. Sie streckte ihre Arme nach ihnen aus, griff nach ihnen. Sie versuchten zu fliehen, doch sie blieben auf der Stelle stehen, als wären ihre Füße zu einem Teil der Schneedecke gefroren.
    Eine eisige Hand berührte sie beide. Noch viel kälter als diese Welt, in der sie gefangen waren. Auf einmal begriffen sie: Sie waren verloren. Auch sie beide würden sterben, ohne je erfahren zu haben, wer sie waren, was sie hier machten, wohin es sie trieb – und was das Kind von ihnen wollte. Sie würden nichts daran ändern können. Es war ihr Schicksal. Jetzt endlich löste sich der Schrei aus ihren Kehlen und…

Berlin
     
     
     
    … Philip presste unwillkürlich die Hand zwischen die Lippen. Statt des Schreis löste sich nur ein ersticktes Gurgeln aus seiner Kehle. Langsam zerfielen die Bilder vor seinen Augen. Zu Staub und Asche und Schnee. Ein Frösteln schüttelte seinen Körper. Ein schauderhaftes Gefühl, weil klammer Schweiß ihm das T-Shirt an die Haut klebte.
    Er rappelte sich aus der Decke hervor, die einem Strick gleich um seinen Körper geschlungen war, und erhob sich vom Sofa. Sofort kam Rabea aus
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher