Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Machos weinen nicht

Machos weinen nicht

Titel: Machos weinen nicht
Autoren:
Vom Netzwerk:
Newa-Kai bogen wir in einen grün gestrichenen Torbogen ein. Der Torweg wand sich schmachtend, wie Frauenbeine auf einer alten Pornopostkarte. Auf der Mauer neben dem Eingang war mit schwarzem Filzstift »Nirwana« geschrieben, darunter mit einem Kuli »Jelzin ist ein Schakal«, und noch weiter unten hatte jemand das unvermeidliche »Schwanz« eingekratzt.
    Dem Gerücht nach hatte im Haus der Schiffer vor ein paar Jahrhunderten einer von den berühmten Schurken logiert.
    Casanova oder Cagliostro, vielleicht auch Baron Münchhausen. Gleich nachdem der Gast sein Zimmer geräumt hatte, hörte man auf, die Treppe zu putzen.
    Im zweiten Stock versuchte sich Gleb lange an der nicht funktionierenden Klingel. Dann klopfte er ununterbrochen, bis uns schließlich ein Typ in einem T-Shirt mit der Aufschrift Hash is the Smash und einer verwaschenen Levi‘s öffnete. Hinter ihm sprang eine riesige, zähnefletschende Dogge hervor. Als sie den Alkoholgeruch erschnupperte, beruhigte sie sich und verschwand. Der Typ brummte irgendwas, ging in ein Hinterzimmer, kam wieder zurück, gab dem Hund einen Tritt, angelte nach seinen Zigaretten, versuchte, uns die Tür vor der Nase zuzuschlagen, und fragte, was zum Teufel wir wollten.
    »Ist Denis da?«
    »Denis ist in Hamburg.«
    »Schon lange?«
    »Er will Pillen kaufen und E.«
    »Wann kommt er zurück?«
    »Was willst du denn?«
    »Können wir uns setzen?«
    Der Typ hätte vor Wut fast mit den Zähnen geknirscht. Wir gingen trotzdem rein. In der Diele weidete eine Herde von Fahrrädern. Ein paar modische von Scott, der Rest uralt und verstaubt. Im Zimmer standen Computer. Sie summten und schufen spielerisch vierdimensionale Modelle des Weltalls. Ein Stück weiter oben fiel der Blick auf verfaulte Bretter, die unter bröckelndem Stuck hervorragten. In den Ecken standen die Schaffensfrüchte der Aborigines. Die Skulpturen erinnerten an die sterblichen Überreste sehr ausgestorbener Tiere. An die bemalte Wand war mit einem Nagel ein menschlicher Schädel geheftet.
    Der »Club der Schiffer« war das zweitbekannteste Petersburger Squat. Ein leer stehendes Haus, besetzt von Künstlern, Fixern und Musikern. Der Ort galt als trendy. Ich habe nicht die leiseste Ahnung, warum er so hieß. Zur Flotte hatte keiner der Aborigines eine Beziehung, so viel ist sicher. Ganze Tage schweißten sie dort Skulpturen aus Altmetall, und ab und zu gaben sie Konzerte in den Techno-Clubs. Soweit ich weiß, reichten die Honorare nicht nur für Alkohol, sondern auch für das teure Kokain.
    Draußen erfüllte die Sonne jede Ritze. Die schwarzen Pfützen auf dem weißen Asphalt blendeten die Augen. Man kommt in einen geschlossenen Raum, und in den Augen springen noch lange Feuer speiende Sonnenkätzchen. Ich stellte die Flaschen auf den Tisch und ließ mich in einen zerfledderten Sessel fallen. Lange hielten wir uns mit den Bierflaschen auf. Dann wollten wir Wein aufmachen. Es war kein Korkenzieher da. Der Typ in der Levi‘s durchwühlte die ganze Wohnung, aber es stellte sich heraus, dass die Flaschen mit Plastikkorken verschlossen waren. Ich schrie, dass ich den Wein mit dem Messer in einer Sekunde aufhätte. Gleb schubste mich weg und fing an, den Korken mit Streichhölzern anzusengen. Es roch nach verbranntem Kunststoff. Um den Tisch herum saßen anstelle der Wohnungsinhaber mehrere Dänen und ein seltsames Mädchen mit einer Mütze aus Katzenfell. Alle wippten im Takt der Musik mit den Beinen.
    »Kannst du dir Leute vorstellen, die in Alazan Valley leben? Das ist ja ein realer Ort! Ehrlich! Ich sag dir, es gibt wirklich ein solches Tal! Das Tal des Flusses Alazan. Oder, äh, Alazanka? Da lebt tatsächlich jemand! Kannst du dir das vorstellen? Wo sind Sie gemeldet? Im Alazan-Tal! Oder in der Stadt Malaga! Oder in der Provinz Bordeaux! Na? Begreifst du? Das ist eine Beleidigung meiner persönlichen Persönlichkeit!«
    Der Levi‘s-Typ saß mir gegenüber und säuberte eine Wobla. Der Fisch sah aus, als wäre er Opfer eines Autounfalls geworden. Ich hatte Lust, den Typ »Hacker« zu nennen. Ein Hals mit einem großen Adamsapfel, geäderte Beine, gefärbte Wolle auf dem Schädel. Die Schuhe natürlich mit dicker Sohle. Im Nebenzimmer versuchte jemand zu tanzen. Gleb unterhielt sich mit den Dänen.
    »Ihr seid Holländer?«
    »Nein. Wir kommen aus Dänemark.«
    »Stimmt es eigentlich, dass man den Kindern in Holland beibringt, dass es vier Geschlechter gibt? Ich meine, zwei gewöhnliche plus schwul und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher